Wien (PK) – Im Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union diskutierten die Abgeordneten heute mit Bundesministerin Klaudia Tanner über die europäische Verteidigungsstrategie. Im Zentrum stand mit dem Strategischen Kompass der Aktionsplan für die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bis 2030. Neben konkreten Umsetzungsschritten war auch der Beitrag der Kommission zur europäischen Verteidigung Thema.
Keine Mehrheit konnten die FPÖ und die NEOS für ihre Anträge auf Stellungnahme finden. Während die FPÖ sich für die Beibehaltung der Neutralität stark machte, forderten die NEOS eine Entscheidung über die Einsätze österreichischer Truppen im Rahmen der EU-Eingreiftruppe ohne Vorbehalte gemäß der Neutralität.
Erster Plan für Umsetzung des Strategischen Kompasses liegt vor
Der Strategische Kompass ist in die Bereiche Handeln, Sichern, Investieren und mit Partnern zusammenarbeiten gegliedert, in denen jeweils unterschiedliche Schritte geplant sind. Im heute behandelten Implementierungsplan gibt der Europäische Auswärtige Dienst einen Überblick über die geplante Umsetzung der insgesamt 81 Maßnahmen und über die EU-Institutionen, die die Mitgliedstaaten dabei unterstützen. Für die sogenannte EU-Eingreiftruppe, die aus 5.000 Personen bestehen soll, sollen bereits 2022 operationelle Szenarien festgelegt werden. Erste Live-Übungen sollen 2023 durchgeführt werden. Voll einsatzfähig soll die Truppe im Jahr 2025 sein.
Noch für das Jahr 2022 steht unter anderem die Förderung der militärischen Mobilität an. Regelmäßige Übungen sollen außerdem die gegenseitige Unterstützung im Falle eines bewaffneten Angriffs stärken. Weil hybride und Cyber-Bedrohungen eine immer größere Rolle spielen, sollen noch in diesem Jahr zahlreiche Instrumente zu diesen Themen überarbeitet bzw. erstellt werden. Außerdem ist die Gründung eines Verteidigungsinnovationszentrums (HEDI) geplant. Ebenfalls im Jahr 2022 soll ein Austausch zur Erhöhung und Verbesserung der nationalen Verteidigungsausgaben stattfinden sowie die Kooperation mit zahlreichen Staaten und Organisationen wie der UNO und der NATO intensiviert werden. Ein Meilenstein im Jahr 2023 ist etwa ein militärisches Konzept für Luftsicherheitsoperationen. Bis 2025 soll die Bereitschaft des Militärischen Planungs- und Durchführungsstabes der EU (MPCC) für bestimmte Missionen gesichert sein.
Der Strategische Kompass bewege sich innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), an der Österreich verfassungskonform in vollem Umfang teilnehme, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Die enge Abstimmung mit anderen Ressorts habe dazu beigetragen, dass der Kompass von Österreich in vollem Umfang unter Achtung der aktiven Neutralität mitgetragen werde.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner betonte im Ausschuss, dass mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine eine Zeitenwende eingetreten sei, durch die klar wurde, dass Europa in der Verteidigung enger zusammenrücken müsse. Der Strategische Kompass zeige für sie, dass sich die zwei Jahre andauernden Verhandlungen gelohnt haben.
Intensive Debatte über europäische Verteidigungspolitik
Friedrich Ofenauer (ÖVP) bezeichnete den Kriegsbeginn in der Ukraine als Zäsur für die Sicherheitsordnung Europas. Österreich müsse daher einen entsprechenden Beitrag zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten. In Bezug auf die österreichische Neutralität legte er seine Ansicht dar, nach der das Land seine Neutralität mit allen Mitteln – auch der entsprechenden Geisteshaltung – verteidigen müsse. Michel Reimon (Grüne) bezeichnete den Strategischen Kompass und die österreichische Beteiligung als richtig. Er befürwortete auch, dass Multilateralismus darin eine zentrale Rolle spiele und Aspekte wie Menschenrechte, Klimaschutz und Frauenrechte berücksichtigt wurden. Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) fand es begrüßenswert, dass im Umsetzungsplan für den Strategischen Kompass die Westbalkan-Region berücksichtigt wurde.
Robert Laimer (SPÖ) stellte fest, dass dem Strategischen Kompass eine Strategie aus dem Jahr 2016 zugrunde liege. Diese europäische und auch die österreichische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013 müssen aus seiner Sicht aufgrund völlig veränderter Rahmenbedingungen neu definiert werden. Laimer erkundigte sich zudem genauer nach der EU-Eingreiftruppe, dem Budget und den Regionen, in denen eine österreichische Beteiligung angedacht sei. Auch Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) fragte nach der EU-Eingreiftruppe und interessierte sich insbesondere für die Entscheidungsfindung im Falle eines Einsatzes.
Verteidigungsministerin Tanner legte dar, dass Österreich sich wie bisher im Rahmen der EU Battlegroups vorgesehen engagieren werde und 2025 in der EU-Eingreiftruppe aktiv werde. Der räumliche Einsatzbereich werde wie viele weitere Details noch ausgearbeitet. Klar sei aber, dass für Österreich der Westbalkan und Osteuropa, der Nahe und Mittlere Osten sowie Afrika im Fokus stehen. Ein Experte aus dem Verteidigungsressort konkretisierte, dass die EU-Eingreiftruppe nicht auf Boden der EU aktiv werden dürfe, außer bei Live-Übungen, an denen sich Österreich in gebotener Form beteiligen werde.
Kritik kam von Reinhard Eugen Bösch und Petra Steger (beide FPÖ) an den österreichischen Beiträgen für die europäische Friedensfazilität. Weil über dieses Instrument Waffen für die Ukraine finanziert werden, halten die freiheitlichen Abgeordneten es nicht für zulässig, dass Österreich Beiträge leiste. Bösch brachte zu diesem Thema auch einen Antrag auf Stellungnahme ein, der jedoch in der Minderheit blieb. Er ortete darin eine Missachtung des Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung. Die Freiheitlichen wollten die Verteidigungsministerin daher auffordern, Äußerungen zu unterlassen, die der Neutralität Österreichs schaden. Außerdem sollten finanzielle Beiträge Österreichs an die Europäische Friedensfazilität eingestellt werden.
Johannes Margreiter (NEOS) forderte ein klares Bekenntnis für eine verlässliche Teilnahme an der geplanten Sicherheitsstruktur, allen voran der EU-Eingreiftruppe. Aus seiner Sicht könne Österreich mit dem derzeitigen Verständnis der Neutralität die Sicherheit des Landes nicht alleine gewährleisten. Es brauche daher eine Beteiligung an europäischen Maßnahmen. Margreiter brachte dafür auch einen Antrag auf Stellungnahme ein, mit dem er die Verteidigungsministerin auffordern wollte, eine Entscheidung über die Einsätze österreichischer Truppen unter europäischem Kommando ohne Vorbehalte gemäß österreichischer Neutralität oder Irischer Klausel zu treffen. Außerdem solle die Ministerin klarstellen, dass österreichische Truppen auch autorisiert sind, an von europäischen Kommandant:innen angeordneten Kampfhandlungen teilzunehmen. Der Antrag fand keine Zustimmung.
Beitrag der Kommission zur europäischen Verteidigung
Auch eine Mitteilung der Europäischen Kommission über ihren Beitrag zur europäischen Verteidigung stand im Ausschuss zur Debatte. Die Kommission, die die Notwendigkeit für einen Quantensprung in der europäischen Verteidigung sieht, skizziert darin die wichtigsten Bereiche, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Verteidigungsmarktes weiter zu stärken. Dazu gehören etwa die Erhöhung der Investitionen in Verteidigungsforschung und -fähigkeiten sowie Anreize für die Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Beschaffung von Verteidigungsfähigkeiten. Die Mitgliedstaaten sollen zudem aufgerufen werden, die Kontrollpraxis bei Waffenausfuhren zu straffen und stärker aneinander anzugleichen. Auch die Stärkung der verteidigungspolitischen Dimension der Weltraumpolitik und die Stärkung der Resilienz Europas auch mit Blick auf hybride Bedrohungen sieht die Kommission als zentral. Bereits eingeleitete Initiativen wie den Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) und die militärische Mobilität will die Kommission weiter umsetzen.
Das Verteidigungsministerium sieht darin einen wertvollen und ambitionierten Beitrag zur europäischen Verteidigung, der zu begrüßen sei. Verteidigungsministerin Tanner betonte erneut, dass die EU angesichts aktueller und zukünftiger Bedrohungen zusammenstehen müsse und erläuterte den Beitrag der Kommission zum Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion.
Für Michel Reimon (Grüne) ist das Programm der Kommission zu unkonkret, um es genau beurteilen zu können. Er kritisierte, dass sich die Kommission darin fast ausschließlich auf die Wettbewerbsfähigkeit konzentriere. Friedrich Ofenauer (ÖVP) unterstrich, dass es zum Ausbau der Fähigkeiten auch Mittel brauche. Die Europäische Union habe gemeinsam eine hohe wirtschaftliche Kraft, die es zu nützen gelte. Er wollte wissen, wie Mittel aus dem Europäischen Verteidigungsfonds in Österreich eingesetzt werden, um die Entwicklung von Fähigkeiten im Bundesheer voranzutreiben. Die Verteidigungsministerin legte dar, dass der Fokus hier auf der Digitalisierung der Streitkräfte liege.
Christoph Matznetter (SPÖ) stellte in Frage, ob die Mitteilung der Kommission, die vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine ergangen sei, noch aktuell sei. Es sei in der Tat notwendig, die Dokumente nachzuschärfen, entgegnete Tanner. Ebenfalls von Matznetter auf die gemeinsame Beschaffung angesprochen, betonte Tanner, dass sie diese für absolut begrüßenswert halte.
Johannes Margreiter (NEOS) bezeichnete die frühzeitige nachrichtendienstliche Erkennung von Angriffen als wichtigen Faktor in der Cyberabwehr. Er wollte daher wissen, ob ein EU-Nachrichtendienst geplant sei. Die Frage nach der Schaffung eines solchen europäischen Nachrichtendienstes stelle sich derzeit nicht, sagte die Verteidigungsministerin.
Petra Steger (FPÖ) erkundigte sich mit Blick auf eine geplante Verteidigungsunion nach Maßnahmen, die keinesfalls die Zustimmung der Verteidigungsministerin hätten. Tanner legte dar, dass das bei Ideen der Fall wäre, die die militärische Neutralität Österreichs aufheben oder dazu führen würden, dass Österreich militärische Bündnisse eingehen müsste. (Schluss EU-Unterausschuss) kar
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