Roma: Einsatz der EU für mehr Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe

Wien (PK) – Der erste Welt-Roma-Kongress 1971 in London gilt als der Beginn der Roma-Bürgerrechtsbewegung. Seitdem finden am 8. April weltweit Aktionstage statt, um auf die Anliegen der Roma aufmerksam zu machen. Anlässlich des Welt-Roma-Tages lud Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka heute zur Diskussionsveranstaltung „Roma-Strategie 2030“ im Parlament in der Hofburg. Expertinnen und Experten sprachen dabei über die europäische Situation der Volksgruppe.

Die Roma-Strategie 2030 der EU formuliert die Ziele der Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma und fokussierte dabei auf die Bereiche Bildung, Beschäftigung und Wohnen. Um die Ziele des EU-Rahmens in allen Mitgliedstaaten zu erreichen, sei es von entscheidender Bedeutung, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verbesserung für die Volksgruppe der Roma in Europa zu bewirken, so der Tenor der Veranstaltung. Der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) Gerhard Baumgartner begrüßte alle TeilnehmerInnen, inklusive des Diknu Schneeberger Trio, das für musikalische Begleitung sorgte.

Bogensberger: Europa noch weit von Gleichberechtigung der Roma entfernt

Als Einführung zum Thema unterstrich Wolfgang Bogensberger von der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich den großen Nachholbedarf, den die Europäische Union hinsichtlich vollständiger Gleichberechtigung der Roma hat. Dabei bilden Bogensberger zufolge die unter dem Oberbegriff „Roma“ zusammengefassten Mitglieder verschiedener Gruppen – neben Roma und Sinti unter anderem auch Kalé, Romanichals,Dom und andere – die größte ethnische Minderheit Europas:
„In der EU und in der Erweiterungsregion leben etwa 10 bis 12 Millionen Roma – also mehr, als Österreich Einwohner hat“.

Bevor der Repräsentant der Europäischen Kommission auf konkrete Zielsetzungen und Maßnahmen der EU-Strategie zu besseren Inklusion der Roma einging, wies er angesichts des grausamen russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf die große Bedeutung solidarischer Hilfeleistungen für die ukrainischen Flüchtlinge hin, unter denen sich auch viele Roma befänden. Auch wenn diese Personen nicht über die nötigen Ausweispapiere verfügten, sei wichtig, dass der vorübergehende Schutz mit all seinen Rechten auch für ukrainische Roma gilt. Die Europäische Kommission unterstütze die EU-Mitgliedstaaten dabei auch finanziell. Es gelte, „gleichberechtigten Zugang zu humanitären Hilfsmaßnahmen zu sichern; das ist ein wichtiges, gemeinsames europäisches Anliegen“, so Bogensberger. Immerhin seien benachteiligte Minderheiten in Krisenzeiten am stärksten betroffen.

Unabhängig vom Kriegsgeschehen und trotz rechtlicher Vorkehrungen erleben Europas Roma weiterhin Diskriminierung im Alltag, wies der Europarechtsexperte auf Vorurteile gegen diese Bevölkerungsgruppe hin, die zur ökonomischen sowie sozialen Ausgrenzungen führten. Obwohl von der EU zwischen 2014 und 2020 über 21,5 Mrd. € zur Integration der Roma auf regionaler Ebene bereitgestellt wurden, habe sich an der Situation kaum etwas geändert, zeigte Bogensberger anhand von statistischen Daten auf. Vorbehalte gegen Roma seien im Großteil der Mehrheitsbevölkerung weiterhin vorhanden, umgekehrt seien Roma mit Marginalisierung und Armutsgefährdung konfrontiert. Allerdings würden mittlerweile immerhin 61% der EuropäerInnen eine bessere Inklusion der Roma begrüßen, sieht Bogensberger einen Hoffnungsschimmer.

Roma-Strategie 2030 soll Gleichstellung, Inklusion und Partizipation erreichen

2021 schlug die Europäische Kommission den EU-Mitgliedsstaaten auf Grundlage des strategischen Rahmens für Roma bis 2030 konkrete Maßnahmen vor, um mehr für Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma zu tun. Wie Kommissionsvertreter Bogensberger skizzierte, umfasst dieser vom Rat der EU einstimmig angenommene Maßnahmenplan die Bereiche Diskriminierungsprävention, Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, Teilhabe an der Zivilgesellschaft, Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsdienste und Wohnraum. Unter anderem sollten die EU-Länder mit nationalen Strategien daran arbeiten, Unterschiede bei höheren Bildungsabschlüssen und bei Wohnungsnot zwischen Roma und dem Rest der Bevölkerung um mindestens ein Drittel zu reduzieren. Mit Sensibilisierungskampagnen an Schulen solle Diskriminierungstendenzen vorgebaut werden. Armutsgefährdung unter Roma sei zu halbieren, der Zugang zu Wasser für Mitglieder der Volksgruppe sei auf 95% zu heben.

Neben Orientierungs- und Koordinierungshilfen bei der Umsetzung bietet die Europäische Kommission laut Bogensberger den Mitgliedstaaten auch finanzielle Unterstützung an: „Die Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Roma ist im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021-2027 als Querschnittsmaterie berücksichtigt“. Mit regelmäßigen Evaluierungen werde die Kommission den Grad der Zielerreichung in den EU-Ländern bewerten. Abschließend hob er noch den Preis für lokale Behörden hervor, den die EU-Kommission zur Förderung der Integration der Roma ins Leben gerufen hat, die „Europäische Hauptstadt für Inklusion und Vielfalt“. Mit all diesen Maßnahmen wolle man im Sinne der Vielfalt der Union bis 2030 erreichen, dass die Roma sich gleichberechtigt mit allen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten in der Gesellschaft einbringen können.

Podiumsdiskussion zu Schwerpunkten einer Roma-Strategie für Österreich

In die Podiumsdiskussion führte der Historiker Gerhard Baumgartner mit der Bemerkung ein, dass die Roma-Strategie 2020 offenbar sehr viele Ziele nicht erreicht habe. Er richtete an die TeilnehmerInnen der Diskussion die Frage, was aus ihrer Sicht geschehen müsse, damit die neue Strategie mehr Erfolg habe. Er sprach dabei die Frage der Bekämpfung von Vorurteilen, Bildung sowie politische und soziale Teilhabe an.

Emmerich Gärtner-Horvath, Vorsitzender des Volksgruppenbeirates der Romnja und Roma betonte, dass die Roma-Strategie 2020 in Österreich einige Erfolge aufweisen könne, etwa im Bereich der Medien und der Zusammenarbeit der Volksgruppen. Wichtig sei aus seiner Sicht, dass Roma als Teil der österreichischen Geschichte wahrgenommen werden. Eine offene Frage sei dabei die Errichtung eines zentralen Denkmals für die während der NS-Zeit ermordeten Mitglieder der österreichischen Volksgruppe der Sinti und Roma. In diesem Zusammenhang überreichte Gärtner-Horvath Nationalratspräsident Sobotka ein Positionspapier zu der Frage der Errichtung eines Denkmals.

Danijela Cicvarić vom Verein Romano Centro betonte, dass Bildung einen wesentlichen Faktor für die Verbesserung der Situation der Volksgruppe darstelle. Allerdings gebe es vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund zu wenig Unterstützungsangebote, was zu einer hohen Drop-out-Rate führe. Besonderes Augenmerk müsse auch der Situation der Frauen geschenkt werden, die oft mit einer dreifachen Hürde konfrontiert seien, als Frauen, als Migrantinnen, und als Mitglieder einer ausgegrenzten Minderheit. Das Empowerment der Frauen sei ein wichtiger Faktor.

Die Autorin Katharina Graf-Janoska wies auf die Wichtigkeit von Maßnahmen gegen den Antiziganismus hin. Dieser sei leider immer noch eine Realität und äußere sich in stereotypen Darstellungen der Volksgruppe und ihrer. Auch sie sah Bildung als einen wesentlichen Faktor an. Die Frage betreffe dabei nicht nur die Roma selbst, die ihre eigene Geschichte oft nicht kennen würden. Auch die Mehrheitsbevölkerung müsse die Geschichte der Volksgruppe kennenlernen. Diese müsse richtig erzählt werden, dabei sei es wichtig, in den Schulen anzusetzen und angemessene Unterrichtsmaterialien zu erarbeiten.

Andreas Sarközi vom Kulturverein österreichischer Roma meinte, ein Erfolg der bisherigen Roma-Strategie in Österreich sei die Einrichtung der Roma-Plattform gewesen, da diese es geschafft habe, autochthone wie allochthone Roma einzubinden. Derzeit laufe auch ein Forschungsprojekt an der Universität Wien zur Bewertung der Roma-Strategie. Zur Frage eines Denkmals für die ermordeten ÖsterreicherInnen aus der Volksgruppe sagte Sarközi, dass er noch Diskussionsbedarf sehe, wie und wo man dieses konkret umsetzen wolle. Zudem sei die Finanzierung ein Thema. Könne man diese Fragen lösen, stehe einer Umsetzung aber nichts im Wege, meinte er.

In seiner Doppelfunktion als Europaabgeordneter und als Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen ging der rumänische Politiker Lóránt Vincze auf die Frage der politischen Teilhabe der Roma in Europa ein. Ein wesentliches Hindernis sei, dass die Volksgruppe sehr fragmentiert sei und dass es vor allem in Osteuropa noch massive Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gebe. Hier sei die sozioökonomische Lage oft noch sehr schwierig. Armut, die über Generationen vererbt werde, sei ein grundlegendes Problem, das angegangen werden müsse. Wichtig sei es, dass VertreterInnen der Volksgruppe eine Stimme erhalten und für ihre eigenen Interessen sprechen können, meinte Vincze.

Sobotka: Österreichisches Parlament ist bereit, sich in den Dialog einzubringen

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sagte, dass er mit der heutigen Veranstaltung auf den Auftakt einer intensiven Auseinandersetzung mit der europäischen Roma-Strategie hoffe. Für das österreichische Parlament sehe er dabei zwei Schwerpunkte, zu denen es einen Beitrag leisten könne. Das sei zum einen die Bekämpfung des Antiziganismus, der in einem falschen Geschichtsbild und in tradierten Vorurteilen wurzle. Hier sei Bildung ein entscheidender Faktor. Mit der Demokratiewerkstatt verfüge das Parlament über ein Instrument, das einen wichtigen Beitrag dazu leisten könne. Dabei brauche man auch die Unterstützung von VertreterInnen der Volksgruppe. Was die Errichtung eines Denkmals für die ermordeten österreichischen Sinti und Roma betreffen, so sei er zuversichtlich, dass sich dieses umsetzen lassen werde. Das vor kurzem vorgelegte Positionspapier dazu sein ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Weiteres Thema sei die politische Repräsentation, die über nationale Grenzen hinausgehe. Leider erkenne er bei seinen KollegInnen auf EU-Ebene noch wenig Bereitschaft, sich des Themas der politischen Partizipation der Roma anzunehmen, meinte der Nationalratspräsident. Hier könnte eine internationale Organisation der Volksgruppe eine wichtige Rolle spielen, auch wenn er verstehe, dass diese schwierig umzusetzen sei. Zu hoffen bleibe, dass man 2030 feststellen werden könne, dass die Roma-Strategie tatsächliche Veränderungen bewirkt habe. (Schluss) sox/rei

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung Pressekonferenz finden Sie auf der Website des Parlaments.

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