Wien (PK) – „Der Westbalkan im Fokus: Hoffnungen, Rückschläge, neue Perspektiven und die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Region“ – unter diesem Titel luden gestern Parlamentsdirektor Harald Dossi und die Balkans in Europe Policy Advisory Group zur Diskussionsveranstaltung in das Parlament in der Hofburg ein. Dabei standen vor allem der ins Stocken geratene Heranführungsprozess der Westbalkanländer an die EU sowie der Europa und seine Werte bedrohende Krieg gegen die Ukraine im Mittelpunkt.
„Die österreichische Außenpolitik wird nicht müde werden, die Länder des Westbalkans in ihrem Beitrittsprozess zu unterstützen“, versicherte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in seinen Eröffnungsworten. Seit langem sei der Westbalkan im Fokus der Arbeit des österreichischen Parlaments. Die seitens der EU-Kommission formulierte Beitrittsperspektive für die Ukraine dürfe aber nicht die teilweise enormen Anstrengungen in den Westbalkanländern konterkarieren. Zudem brachte der Nationalratspräsident seine Sorge über einen wiederaufflammenden bewaffneten Konflikt, etwa in Bosnien und Herzegowina, zum Ausdruck. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine habe sich die Region wieder in das internationale Bewusstsein geschoben.
„Der heutige Abend soll im Zeichen des Gedenkens an Erhard Busek stehen, der sein Leben dem geeinten Europa gewidmet hat“, betonte Parlamentsdirektor Harald Dossi. Es sei unerlässlich, die Länder des Westbalkans an die Europäische Union heranzuführen. Dazu müssten beide Partner ihren Beitrag leisten. Einerseits müsse die EU ihre gegebenen Versprechungen einhalten, andererseits gehe es in den Ländern des Westbalkans darum, die begonnenen Reformprozesse konsequent weiterzuführen.
Der von der Universität Sarajewo zugeschaltete Politikwissenschaftler Damir Kapidžić erörterte in seiner Keynote die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Staaten des Westbalkans. So gebe es dazu keine gemeinsamen Ansichten der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern. Die Positionen würden von Zurückhaltung bis zu einer klaren Verurteilung der Invasion Russlands reichen. Der aktuelle Krieg wecke jedoch Erinnerungen an die 1990er-Jahre und löse Retraumatisierungen bei den Menschen aus. Grundsätzlich geht Kapidžić davon aus, dass Sicherheit in der Region herrscht. Dies sei aber nicht mit Stabilität gleichzusetzen. Was die Konsequenzen für den europäischen Beitrittsprozess betrifft, sieht Kapidžić noch keine Entscheidung innerhalb der EU, wie künftig mit den Ländern des Westbalkans umgegangen werden soll.
Auch der Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz Florian Bieber sprach in seiner Keynote die Konsequenzen des russischen Aggressionskriegs für den Westbalkan an. Dieser bringe Klarheit, dass ein autoritäres Regime eine Bedrohung für die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sei. Zudem zeige der Konflikt in der Ukraine die Dringlichkeit für einen EU-Beitritt der Westbalkan-Länder auf. Hier könne das Friedensprojekt Europa mit Leben erfüllt werden. Es gehe um die Formulierung eines klaren politischen Willens und eines Neudenkens der europäischen Integration, so Bieber. Den Worten müssten nun Taten folgen.
Diskussion mit Obleuten der Bilateralen Parlamentarischen Gruppen
In einem Podiumsgespräch diskutierten mit Kapidžić Obleute und Mitglieder der Bilateralen Parlamentarischen Gruppen, und zwar von jener zwischen Österreich und Albanien Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), Bedrana Ribo (Grüne) für Österreich-Bosnien-Herzegowina, für Österreich-Kosovo Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP), Eva Blimlinger (Grüne) für Österreich-Montenegro, Christian Buchmann (ÖVP) für Österreich-Nordmazedonien sowie Gudrun Kugler (ÖVP) für Österreich-Serbien. Die Moderation übernahmen die Direktorin des European Fund for the Balkans Aleksandra Tomanić sowie Universitätsprofessor Bieber.
Aus Sicht von Eva Blimlinger (Grüne) lagen aus der historischen Dimension am Westbalkan nach Auseinandersetzungen und Kriegen auch immer wieder Problematiken in den Lösungen, die neue Schwierigkeiten mit sich brachten. Auch wenn es sich schwierig darstelle, erachte sie es als notwendig, den gesamten Westbalkan im Prozess „mitzunehmen“ und dabei auch die Multiethnizität in den Ländern im Hinterkopf zu haben. Als wichtigen Motor nannte Blimlinger das Kennenlernen der Länder, also den Tourismus sowie insgesamt den Austausch auf allen Ebenen.
Österreich und die EU würden etwa für Serbien vieles tun, das werde in der Bevölkerung aber kaum gesehen, meinte Gudrun Kugler (ÖVP). Es gelte hier, ein Vakuum zu füllen und sichtbarer zu sein. Die EU sei ohne den Westbalkan nicht komplett, so Kugler, und Serbien stelle einen wichtigen Bestandteil dar. Ein großes Thema ist für sie auch, den positiven Dialog mit Menschen aus Serbien, die in Österreich leben, zu suchen, sowie über die parlamentarische Zusammenarbeit weiterhin Brücken zu bauen. Aus Sicht von Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) gilt es jedenfalls, nicht nur über, sondern mit den Westbalkan-Ländern zu sprechen und gemeinsam mit ihnen an den Perspektiven zu arbeiten. Viele der Länder hätten sich von der Beitrittsperspektive abgewendet. Auch den Anliegen der Zivilgesellschaft sollten ihr zufolge mehr Stimme gegeben werden. Aber auch innerhalb der EU sieht Ernst-Dziedzic die Aufgabe, die Union als Werteunion weiterzuentwickeln.
Christian Buchmann (ÖVP) schloss sich dem an, dass es eine neue Dynamik in der Region brauche und der Dialog verstärkt werden müsse. Das österreichische Parlament lebe hier einen guten Ansatz, sei es mit der jüngsten Einbindung von Jugendlichen in die Diskussionen zur Konferenz zur Zukunft Europas, aber etwa auch mit Twinning-Projekten. Bedrana Ribo (Grüne) meinte, dass Österreich etwa in Bosnien und Herzegowina im Hinblick auf das Thema EU eine ganz besondere Rolle spiele. Die Menschen hätten derzeit in einer instabilen politischen Lage andere schwierige Probleme, zudem würden junge Menschen in hohem Ausmaß abwandern. Darauf müsse die internationale Gesellschaft achtgeben.
Viele der Westbalkan-Länder hätten in Bezug auf die EU ihre Hausaufgaben gemacht, meinte Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP). Im Kosovo nehme sie viel Elan wahr, es gelte nun, das Vertrauen zurückzubekommen. Auch der Ukraine-Krieg sei eine historische Chance, miteinander eine Antwort zu finden und mit gemeinsamer Kraft in den Austausch zu gehen. Auch Damir Kapidžić ergänzte, es müsste nun mit der Region erneut und anders geredet werden, außerdem müssten Taten folgen, zumal mit Worten allein das Vertrauen nicht mehr aufgebaut werden könne. Die EU müsse aus seiner Sicht außerdem auch darüber reden, wie Staaten, die komplexer strukturiert seien wie etwa Bosnien und Herzegowina, mitintegriert werden können.
Die Balkan in Europe Policy Advisory Group (BiEPAG), die heute gemeinsam mit dem Parlament zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte, ist eine gemeinsame Initiative des European Fund for the Balkans (EFB) und des Zentrums für Südosteuropastudien der Universität Graz (CSEES) zur Förderung der europäischen Integration des westlichen Balkans und der demokratischen Entwicklung dieser Region. BiEPAG setzt sich aus zahlreichen WissenschaftlerInnen aus dem westlichen Balkan und ganz Europa zusammen und möchte mit seiner Expertise diesen Prozess unterstützen und vorantreiben. (Schluss) med/mbu
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments.
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