TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Der Schatten des Sebastian Kurz“, Ausgabe vom 23. Dezember 2021 von Wolfgang Sablatnig.

Innsbruck (OTS) – Der frühere Kanzler und ÖVP-Chef hat die Politik verlassen und war bei den neu aufgetauchten Chats mit Investor Wolf nicht dabei. Die ÖVP wird sich dennoch noch lange mit seinem System herumschlagen müssen.

Wird Sebastian Kurz in die Politik zurückkehren? Bei den Türkisen hoffen viele auf einen glatten Freispruch für ihren einstigen Hoffnungsträger. Manche setzen darauf, dass er dann die ÖVP noch einmal in die „lichten Höhen“ führt, von denen der Steirer Hermann Schützenhöfer gesprochen hat.
Die Anhänger von Kurz übersehen dabei, dass der Fall zwei Seiten hat. Die Justiz deckt nur einen Aspekt ab: Gab es rechtswidrige Handlungen? Und wenn ja, war daran auch der Chef beteiligt oder wusste er davon?
Der andere Aspekt ist die politische Glaubwürdigkeit. Kurz hat einen neuen Stil versprochen. Viele Anhänger schwärmten davon, wie er auf Menschen zugeht. Die Chats aus seinem Umfeld offenbaren aber, mit welch zynischem Verständnis seine Vertrauten (oder zumindest einige davon) ans Werk gegangen sind. „Er war zunächst rot, dann blass, dann zittrig“: Die Vollzugsmeldung des manischen Texters Thomas Schmid nach der Breitseite gegen die Bischofskonferenz hat schon einen fixen Platz im Zitatenschatz der Republik.
Umso mehr wird die Neueintragung zum geflügelten Wort werden. Der Vorwurf der gekauften Politik begleitet den Spendensammler Kurz und die Türkisen schon lange. Und jetzt kommt wie zur Bestätigung diese Nachricht von Schmid an einen Mitarbeiter: „Du bist die Hure für die Reichen!“ Es folgt eine Intervention wie aus dem Lehrbuch. Am Ende ist die Steuerschuld des Investors Siegfried Wolf zumindest vorläufig verringert. Nur der Staat zahlt drauf.
Kurz war bei diesen Chats weder Sender noch Empfänger. Er hatte aber ein Naheverhältnis zu Wolf. Und Schmid war sein Mann, den er später an die Spitze der Staatsholding ÖBAG setzte. Die Haltung, die Schmid an den Tag legte, klebt auch an Kurz.
Die schlechten Nachrichten vom scheinbar unerschöpflichen Handy Schmids werden auch nicht zu Ende sein. Im kommenden Untersuchungsausschuss werden sie wieder Wort für Wort zerpflückt werden – auch wenn Kurz und sein Vertrauter Gernot Blümel die Politik verlassen haben.
Die ÖVP und der neue Spitzenmann Karl Nehammer werden sich dennoch jedes Mal der Frage stellen müssen, wie sie es mit ihrem Ex-Chef und dessen System halten. Es gibt viele politische Anknüpfungspunkte und persönliche Beziehungen. Auf der anderen Seite präsentierte der neue ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner jüngst persönlich einen Revisionsbericht, der „Strukturversagen“ im Zusammenhang mit zweifelhaften Studien ortete. Die Abnabelung hat begonnen.

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