Wien (PK) – Auslöser der heutigen Sondersitzung des Nationalrats war das Bekanntwerden von Hausdurchsuchungen, die am Mittwoch vergangener Woche auf Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Kanzleramt, der ÖVP-Parteizentral und im Finanzministerium (BMF) durchgeführt wurden. Zweck der Sondersitzung auf Verlangen der drei Oppositionsparteien war ursprünglich eine Anfrage an den damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie ein Misstrauensantrag gegen ihn. Da Kurz am Wochenende sein Amt an Alexander Schallenberg übergeben hat, richteten die Abgeordneten der SPÖ ihre Dringliche Anfrage an Finanzminister Gernot Blümel, dem sie eine Involvierung in das „System Kurz“ zuschreiben.
Mit insgesamt 46 Fragen an den Finanzminister verlangte die SPÖ Aufklärung über Blümels mögliche Einbindung in die „Beauftragung und Verwertung von Umfragen“, in die Praxis von Inseratenvergaben und der Beauftragung von Studien. Eine Reihe von Fragen betrafen inzwischen getätigte Schritte im Finanzministerium, wie etwa, ob der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des BMF inzwischen suspendiert sei, oder ob Regelungen zum Löschen von Daten zuletzt geändert wurden.
Krainer sieht in Ermittlungen der WKStA umfangreiche Verdachtsmomente gegen Blümel
SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer erinnerte an das „Ibiza-Video“ im Mai 2019 mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, das gezeigt habe, wie sie Überlegungen über das Vorbeischleusen von Spenden am Rechnungshof und über Einflussnahmen auf Medien anstellten. Damals habe die ÖVP für sie nicht die Unschuldsvermutung gelten lassen, sondern sofortige Rücktritte verlangt, obwohl sie zum Zeitpunkt der Entstehung des Videos noch Oppositionspolitiker waren. Auch der sofortige Rücktritt von Innenminister Herbert Kickl sei von der ÖVP verlangt worden, mit der Begründung, es sei sicherzustellen, dass Justiz und Polizei unbeeinflusst arbeiten können.
Als Reaktion auf die damaligen Ereignisse hätten SPÖ und NEOS einen Untersuchungsausschuss verlangt, führte Krainer weiter aus. Dieser habe aufgezeigt, dass praktisch alles, was Strache und Gudenus nur theoretisch besprochen hatten, von der ÖVP und in von ihr kontrollierten Ressorts, insbesondere dem Finanzministerium, in praktischer Weise bereits umgesetzt wurde. Die Reaktion der ÖVP darauf falle trotz der sehr konkreten Vorwürfe völlig anders aus, als nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen FPÖ-Politiker. Anstelle von Entschuldigungen und Rücktritten von Regierungsmitgliedern berufe man sich auf die Unschuldsvermutung für Personen, die moralisch und politisch untragbar sei. „Ihr Umgang mit dem Skandal ist zum Schämen“, sagte Kai Jan Krainer in Richtung der Abgeordneten der ÖVP.
Auch der neue Bundeskanzler habe in seiner Antrittsrede Respekt für das Parlament vermissen lassen. Dabei würden unterdessen sogar ÖVP-Landeshauptleute aussprechen, dass das Problem das Fehlen von Anstand, Moral und Respekt sei. Kurz und seinem Team, darunter Blümel, seien der eigene politische Erfolg und das persönliche Machtinteresse wichtiger gewesen, als etwa die Umsetzung wichtiger Vorhaben für die ÖsterreicherInnen, wie eine angemessene Kinderbetreuung oder die Abschaffung der kalten Progression. Sie hätten vielmehr genau jenen politischen Stillstand geplant, für dessen Beseitigung sie sich später feiern lassen wollten.
Krainer übte einmal mehr Kritik an Aussagen der letzten Zeit, die er als Attacken der ÖVP auf die Justiz wertete. Auch Bundeskanzler Schallenberg setze dieses System fort, meinte der SPÖ-Abgeordnete. Er sehe keine Verbesserungen und habe wenig Vertrauen, dass Blümel in seinem Ressort für Aufklärung sorgen werde. Die Dringliche Anfrage solle einen Anfang bei der Aufklärung machen, indem sie dem Finanzminister Gelegenheit gebe, eine Reihe von Fragen zu beantworten. Zudem werde die Opposition einen Untersuchungsausschuss beantragen, um das „korrupte System“, das die ÖVP hier errichtet habe, zu durchleuchten, kündigte Krainer an.
SPÖ befragt Finanzminister Blümel zu den Vorwürfen der WKStA
In der schriftlichen Begründung der Dringlichen Anfrage an Finanzminister Gernot Blümel unter dem Titel „‚System Kurz‘ -Missbrauch von Steuergeld zu persönlichen Zwecken und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe“ stellen die Abgeordneten der SPÖ fest, die gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium und in der ÖVP-Parteizentrale hätten schwerwiegende Verdachtsmomente ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Sebastian Kurz sei dabei eine zentrale Rolle zugekommen, zudem würden Ermittlungen der Justiz gegen dessen Umfeld und somit auch gegen Finanzminister Blümel und die ÖVP selbst laufen. Aus Korrespondenzauswertungen ergebe sich eine enge Einbindung von Gernot Blümel in die Beauftragung und Verwertung von Umfragen, lautet ein Hauptvorwurf der SPÖ.
Weiters würden Akten der Staatsanwaltschaft zur Korrespondenz zwischen Gernot Blümel und Thomas Schmid belegen, dass letzterer dafür gesorgt habe, dass dem Außenministerium und somit Sebastian Kurz durch das BMF zusätzliche budgetäre Mittel zukamen, obwohl das Vorgehen keine politische Zustimmung des damaligen Vizekanzlers hatte. Die Konversation zwischen Gernot Blümel und Thomas Schmid zeige auch die umfassende Einbindung des nunmehrigen Finanzministers in die „Machtübernahmepläne der türkisen Truppe“, wie es die Dringliche Anfrage der SPÖ formuliert. Das Resümee der WKStA ergebe, dass Blümel noch zumindest bis Oktober 2017 in Chats zum Thema Umfragen eingebunden gewesen sei. Aus diesem Grunde richte sie die Dringliche Anfrage rund um den Themenkomplex der Beauftragung von Inseraten, Umfragen und Studien von Seiten des BMF an den Finanzminister.
Blümel: Anfrage betrifft zum größten Teil „weder meine Person noch meine Amtszeit“
Finanzminister Blümel sagte, er sei unterdessen mit dem siebten Misstrauensantrag gegen ihn konfrontiert. Zweifellos sei es das gute Recht der Opposition, Fragen an die Regierung zu stellen. Er sei auch nicht überrascht, dass die Opposition schwierige Phasen von Regierungen politisch für sich nützen wolle, indem sie Misstrauensanträge stelle und Rücktritte fordere. Wieder einmal sei die Anfrage jedoch inhaltlich wenig substanziell, zudem betreffe der Großteil der Fragen weder seine Person noch seine Amtszeit.
Aus seiner Sicht brauche man nun vor allem Stabilität und Zusammenarbeit, um Österreich aus der Krise zu führen. Jetzt sei Optimismus gefragt und der Blick in die Zukunft, um die noch immer anhaltende Krise zu überwinden. Er hoffe, dass auch die Opposition sich ihrer Verantwortung für Österreich wieder stärker bewusstwerde, und die gesamte Politik lerne, das Land über die Person zu stellen, wie Sebastian Kurz das am Wochenende getan habe. Er werde aktiv zur Aufklärung der Vorgänge beitragen. Er habe deshalb bereits in Abstimmung mit der Finanzprokuratur einen Untersuchungsauftrag an die interne Revision erteilt und beantworte in diesem Sinne auch die Fragen der Dringlichen Anfrage, betonte Blümel.
Die ersten Fragen der Dringlichen Anfrage der Abgeordneten der SPÖ an Finanzminister Gernot Blümel bezogen sich darauf, wann dieser vom Vorwurf erfahren habe, wonach gefälschte Umfragen und beschönigende Berichterstattungen mittels mutmaßlicher Scheinrechnungen durch Steuergeld aus dem Finanzministerium erkauft worden seien, und von wem er über die Hausdurchsuchungen informiert worden sei. Blümel erklärte, dass er über die Vorwürfe und von der Hausdurchsuchung im BMF von einem Mitarbeiter erfahren habe.
Weiters fragten die Abgeordneten, ob der Finanzminister mit dem ehemaligen Bundeskanzler Kurz über den Themenbereich Umfragen und Inserate an die Tageszeitung „Österreich“ gesprochen habe, ob er weiters vor Amtsantritt als Bundesminister für Finanzen über die Umfrageaufträge und Inseratenvergabe des BMF unterrichtet gewesen sei bzw. sich über diese beiden Themenbereiche informieren habe lassen.
Über Umfragen und Studien tausche man sich selbstverständlich aus, führte Blümel aus. Auch in seiner Amtszeit seien diese beauftragt worden, um Grundlagen für politische Maßnahmen zu erhalten. Auch würden Inserate geschaltet, um über aktuelle Maßnahmen der Bundesregierung zu informieren.
Die Frage, ob er von Bediensteten des Ressorts auf mögliche Ungereimtheiten bei der Vergabe von Umfragen an „research affairs“ bzw. der Inseratenvergabe an „Österreich“ hingewiesen worden sei, verneinte der Finanzminister. Er habe zudem bereits die interne Revision des Finanzministeriums beauftragt, alle diesbezüglichen Vorgänge im Ressort seit dem Jahr 2015 zu überprüfen. Die mündliche Beauftragung der internen Revision sei unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe, die schriftliche Beauftragung in Absprache mit der Finanzprokuratur am 8. Oktober erfolgt.
Weitere Fragen betrafen die Umfragen, die das Finanzministerium bezahlt hat. So wollten die Abgeordneten wissen, ob das so genannte „Österreich Beinschab Tool“ seine Idee gewesen sei, ob er von Thomas Schmid, Johannes Frischmann oder einer anderen Person über Ergebnisse von Umfragen von „research affairs“ informiert wurde, ob er Wolfgang oder Helmuth Fellner jemals Inserate zugesagt habe und wenn ja, wann und in welchem Umfang, sowie eventuelle Vereinbarungen über Gegenleistungen für Inserate des BMF mit der Tageszeitung „Österreich“. Alles das verneinte Blümel.
Ein weiterer Themenkomplex der Fragen war die mutmaßliche Manipulation von Umfragen, die Beauftragung von Studien, Umfragen oder sonstige Aufträge des BMF seit dem Jahr 2014 bis zum laufenden Jahr an „research affairs“, deren Ziel, Umfang, Kosten, über die Präsentation von Ergebnissen und die Veröffentlichung von Studien. Blümel wies eine Involvierung in Manipulationen zurück. Zum Umfang der Aufträge verwies er auf bereits früher erfolgte Beantwortungen von Anfragen. Alle Studien, die in seiner Amtszeit beauftragt wurden, seien zudem öffentlich einsehbar, unterstrich der Finanzminister.
Die SPÖ interessierte sich auch dafür, ob die Vereinbarkeit von Inseraten mit dem Medien-Transparenzgesetz sowie die Angemessenheit der Leistungserbringung durch „research affairs“ überprüft wurde. Detaillierte Fragen betrafen die Rolle des Leiters der Öffentlichkeitsarbeit des BMF, Johannes Pasquali, sowie von Thomas Schmid bei der Beauftragung von Umfragen und Aufträge des BMF seit 2017 an Unternehmen von Sophie Karmasin und andere Meinungsforschungsinstitute. Die SPÖ-Abgeordneten verlangten auch Auskünfte über das Volumen der Inseratenschaltungen des BMF in der Tageszeitung „Österreich“ von 2014 bis zum laufenden Jahr und die Auftragsvergabe.
Blümel sagte, der betreffende Mitarbeiter habe selbst darum gebeten, für die Zeit der Untersuchungen der internen Revision Urlaub zu nehmen, um jeden Anschein der Befangenheit auszuschließen. Inseratenschaltungen würden sich nach dem jeweiligen Informationsbedarf richten. Sie würden von der Kommunikationsabteilung des Finanzministeriums beauftragt, quartalsweise eingemeldet und von der Aufsichtsbehörde RTR veröffentlicht. Die Vereinbarkeit mit dem Medientransparenzgesetz sei bestätigt worden.
Schließlich interessierten sich die Abgeordneten dafür, wann Blümel von der geplanten Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt, im BMF oder bei der ÖVP erfahren habe, ob der Minister Kalendereinträge, SMS und E-Mails und ob es eine Vernichtung von Gegenstände vor der Hausdurchsuchung gegeben habe, was er verneinte. Weitere Fragen betrafen die Verwendung verschlüsselter Kommunikationsdienste, eine angebliche Einschau in Steuerakten der SPÖ oder ihrer Geschäftspartner und mögliche Abfragen in dienstlichen Datenbanken. Blümel betonte, dass er privat die Rechnung des Diensthandys bezahle, das er auch privat nutze, und zum Schutz seiner Privatsphäre Textnachrichten seit geraumer Zeit regelmäßig lösche. Er verwende Medienkanäle wie WhatsApp und Signal, informierte er.
Ein weiterer Fragenkomplex umspannte die Woche vor der Hausdurchsuchung im BMF und die vergangene Woche. Dabei ging es darum, ob in diesem Zeitraum Akten vernichtet oder elektronische Daten des Kabinetts oder des Generalsekretariats gelöscht worden seien, und um die aktuellen Vorgaben für die Löschungen elektronischer Daten des Ressorts. Hier informierte Blümel, dass Daten von MitarbeiterInnen generell mit deren Ausscheiden aus dem Finanzministerium gelöscht würden. In seiner Amtszeit habe es keine Veränderungen der internen Vorgaben gegeben.
Gefragt wurde auch, ob Bundesminister Schelling im Jahr 2016 die Inseratenschaltungen in der Zeitung „Österreich“ stoppen habe wollen und ob er unter Druck gesetzt worden sei, sie doch zu genehmigen sowie nach konkreten Plänen der Bundesregierung unter Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner im Juni 2016, 1,2 Mrd. € in Schulen und Kinderbetreuung zu investieren, sowie zur Abschaffung der kalten Progression“ und den Gründen des Scheiterns dieser Pläne. Auch hier betonte Blümel, er verfüge über keine konkreten Informationen zu diesen Vorgängen.
Die abschließende Frage an Blümel war, ob analog zu dem, was in Chatverläufen zwischen Kurz und Schmid bekannt geworden sei, Sebastian Kurz auch ihm gegenüber den damaligen ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner mit einem derben, abwertenden Begriff bezeichnet habe. Blümel erklärte, dass diese Frage nicht Gegenstand der Vollziehung sei. (Fortsetzung Sondersitzung des Nationalrats) sox
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