Volkshilfe-Umfrage unter pflegenden Angehörigen: „Ein Gefühl der Dauersorge“

Wien (OTS) – Die Volkshilfe hat im April und Mai eine Umfrage unter armutsbetroffenen pflegenden Angehörigen in ganz Österreich durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Verschlechterung der Lage bei der Pflege zu Hause und stellen der Arbeit der Bundesregierung kein gutes Zeugnis aus. Fast die Hälfte der Befragten beurteilt sie negativ.

100 Betroffene österreichweit zu aktuellen Belastungen befragt

In ausführlichen Interviews wurden in den letzten vier Wochen 100 pflegende Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen, deren Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt, befragt wie es ihnen in der Pandemie geht und wie es um ihre Belastungen steht. „Die Stimmen der Betroffenen, machen es deutlich: Die Rahmenbedingungen in der Pflege müssen sich endlich ändern und die Regierung muss vom Reden ins Tun kommen. Es gibt die 64 Maßnahmenpakete der Taskforce Pflege. Sie müssen jetzt endlich umgesetzt werden. Daher muss die Zielsteuerungskommission transparent und rasch arbeiten, und es müssen alle Player an einen Tisch. Vor allem die Personalsituation duldet keine weiteren Verzögerungen mehr“, fordert Ewald Sacher, Präsident der Volkshilfe Österreich.

Betreuung ist für zwei Drittel der Befragten aufwändiger geworden

Gefragt, ob die Betreuung bzw. Pflege durch Corona für sie aufwändiger wurde, antworteten fast zwei Drittel mit Ja (61%). Für mehr als ein Drittel (35%) sind es jetzt 1 bis 2 Stunden mehr Aufwand pro Tag. Für 14% sind es sogar bis zu 4 Stunden zusätzlich.

Hier wird deutlich, wie sehr das System Pflege schon vor der Corona-Krise vom persönlichen Engagement abhängig war – Familie und Freunde sind jetzt als Entlastung weggefallen, wie wir in der Umfrage sehen – und wie wenig flexible Pflegemodelle es gibt, die ein gutes Leben daheim möglich machen.

Abfall an Lebensqualität durch Mehrbelastung in der Pflege zu Hause

Vergleicht man die Angaben zur Lebensqualität vor und nach Corona, fiel die Zufriedenheit in Schulnoten von mehrheitlich 1 bis 2 auf 3 bis 4. Der Verlust an Lebensqualität betrifft in einer Pandemie zwar alle Menschen, der Zusammenhang mit den Aufgaben als Pflegende wird aber doch deutlich: 7 von 10 Angehörigen (67%) sprechen von körperlichen oder emotionalen Herausforderungen im Rahmen der Pflege durch Corona.

„Ein Gefühl der Dauersorge“ für pflegende Angehörige

Neben der Angst die Angehörigen daheim anzustecken, dem fehlenden Körper- und sozialen Kontakt, der zum geistigen und körperlichen Abbau bei vielen führt, tauchen auch finanzielle Sorgen immer wieder auf. Dazu die Unsicherheit, das „emotionale Lotteriespiel“ (Zitat aus der Umfrage), ob das Pflegepersonal überhaupt kommen kann und der damit verbundene organisatorische und finanzielle Mehraufwand. Die finanziellen Sorgen der Betroffenen zeigen sich in diesen Aussagen:
„Ich finde es traurig, dass es günstiger ist meine Mutter ins Heim zu stecken, anstatt sie daheim zu pflegen“ (Zitat). „In Versicherungsjahren ist das was ich geleistet habe gleich null. Ich mache mir Sorgen um meine Zukunft.“ (Zitat). Zusammengefasst kann man sagen: „Ein Gefühl der Dauersorge“ (Zitat), dass die Angehörigen plagt.

Schlechtes Zeugnis für Arbeit der Regierung im Bereich Pflege

44% der Befragten beurteilen die Arbeit der Regierung im Bereich Pflege als negativ, also mit einem Vierer oder Fünfer. Nachgefragt, sagt die Mehrheit, sie fühlen sich allein und im Stich gelassen – „Sie scheren sich nicht um uns.“ (Zitat) „Wir Familien müssen die Belastung alleine tragen“ (Zitat). Viele wünschen sich ein breiteres Angebot an Pflege – „Je mehr Pflege desto besser“ (Zitat) – und finden es bedauernswert, dass Pflege zu wenig Unterstützung vom Staat bekommt.

Präsident Ewald Sacher fasst die Kritik an der Bundesregierung zusammen: “Der mobile Pflege- und Betreuungsbereich führte die längste Zeit ein absolutes Stiefkind-Dasein in der Aufmerksamkeit durch die Regierung. Und das, obwohl rund 160.000 Menschen in ganz Österreich betreut werden, mehr als im stationären Bereich. Speziell am Beginn gab es für die Mitarbeiter*innen zu wenig Schutzausrüstung, die längste Zeit keine klare Teststrategie, keine klaren offiziellen Richtlinien. Die Situation war auch für die betroffenen Mitarbeiter*innen eine enorme Belastung, und so konnten auch die pflegenden Angehörigen nicht so unterstützt werden, wie es nötig gewesen wäre.“

Was muss jetzt passieren?

„Akut befürchten wir zahlreiche Pflege-Aussteiger*innen. Die dauerhafte Überforderung ist so enorm, dass viele Mitarbeiter*innen aus Verantwortungsgefühl sagen, bis zum Ende der Pandemie halten sie noch durch, aber dann werden sie sich eine weniger belastende Tätigkeit suchen“, stellt Fenninger fest.

Angesichts der bereits jetzt sehr angespannten Personalsituation im Pflege- und Betreuungsbereich bedeutet das eine echte Gefahr. „Wir brauchen sofort die komplette Übernahme der Ausbildungs- und Lebenserhaltungskosten, um mehr Menschen in die Ausbildung zu bringen. Wir brauchen bessere Personalschlüssel sowohl im stationären als auch im mobilen Bereich, das heißt mehr Geld für die Pflege. Und wir brauchen den lang geforderten Ausbau der mobilen Pflege, der mehrstündigen Alltagsbegleitung und von teilstationären Einrichtungen. Damit die Unterstützung pflegender Angehöriger nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, die Unterstützung für das Pflegepersonal nicht nur aus Klatschen besteht. Jetzt müssen endlich Taten folgen.“, so Fenninger.

Ein weiteres Sparen in diesem Bereich wird fatale Folgen haben. Österreich bekämpft die Krise mit sehr viel Geld, der Finanzminister ist aufgefordert, den Ländern für die nötige Pflegeoffensive auch die Budgets zur Verfügung zu stellen.

„Für die Zukunft müssen bessere staatliche Pflegekonzepte geschaffen werden“, sagt eine pflegende Tochter und bringt es damit auf den Punkt, stellen Präsident Sacher und Direktor Fenninger abschließend fest.

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