Zukunftsforum Österreich: Verunsicherung durch Bedrohungen, nationalistische Tendenzen und EU-Skepsis gehen Hand in Hand

Wien (OTS) – Verunsicherung durch Bedrohungen, nationalistische Tendenzen und EU-Skepsis gehen Hand in Hand – so lautet die Erkenntnis eines Forschungsprojekts, unterstützt durch Fördergelder des Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank (Projektnummer:
18081), das das Zukunftsforum Österreich von 2019 bis 2020 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Emmerich Tálos durchgeführt hat. Eine Publikation mit Ergebnissen der Studie ist soeben im LIT-Verlag erschienen (Hudler-Seitzberger, Michaela; Gutschik, Reinhold; Tálos, Emmerich: Sicherheit, neuer Nationalismus und EU. LIT-Verlag, Wien 2021, ISBN 978-3-643-51013-6).

Auf Basis von Daten einer österreichweiten repräsentativen schriftlichen Befragung unter 962 Personen im Zeitraum Juni bis September 2019 wurde ein Zusammenhang zwischen Sicherheitsempfinden in den Bereichen Sicherheit vor Flüchtlingsströmen, unkontrollierter Zuwanderung, Verbrechen, Terrorismus, vor militärischer Bedrohung sowie Stabilität der EU und des Euros, nationalistischen Tendenzen und der Haltung zur EU festgestellt.

Nationalistischen Tendenzen beziehen sich hier speziell auf eine Fokussierung auf die eigene Nation, auf Abschottung, die Problemlösung auf nationaler Ebene sowie auf eine kritische Haltung gegenüber Zuwanderung.

Personen, die sich in den genannten Bereichen unsicher fühlen, zeigen vermehrt nationalistische Tendenzen und stehen auch der EU kritisch gegenüber.

69% der befragten Österreicherinnen und Österreicher sprachen sich dafür aus, dass Entscheidungen, die ein Land betreffen, im jeweiligen Land getroffen werden sollten. Am häufigsten wünschten sich die Befragten künftig nationale Entscheidungen in den Bereichen Regional-und Sozialpolitik, Beschäftigung, Jugend, Gesundheit, Landwirtschaft, Steuern, Bildung und Kultur.
Entscheidungen der EU erwarten sie eher in den Bereichen Zuwanderung von außerhalb der EU, Binnenmarkt und Terrorismusbekämpfung, bei der Bewältigung von Flüchtlings-, Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik.

„Eine nationalistische und EU-kritische Einstellung kann unter anderem als Enttäuschung darüber interpretiert werden, dass die EU zu wenig Schutz bietet, wenn es um geregelte Zuwanderung von außerhalb der EU geht, um Terrorismusbekämpfung oder generell um Außen- und Sicherheitspolitik. Doch gerade in diesen Bereichen würden sich die Menschen Lösungen von der EU wünschen, wie aus unserer Erhebung hervorgeht,“ erklärt Prof. Dr. Hannes Bauer, Vorsitzender des „Zukunftsforum Österreich“.

Ungefähr 20% bis 25% der Befragten meinten, dass ein Land Herausforderungen wie Flüchtlings-, Finanz- und Wirtschaftskrisen, Terrorismusbekämpfung sowie die Herausforderungen der Zukunft besser alleine bewältigen kann als in einer Staatengemeinschaft wie der EU.

26% fühlen sich sicherer, wenn Österreich Probleme, Krisen und Bedrohungen alleine bekämpft anstatt in einer Staatengemeinschaft.

Im Rahmen der Studie kamen auch ExpertInnen (WissenschafterInnen, MeinungsforscherInnen, PolitikerInnen, InteressenvertreterInnen, Personen aus der Wirtschaft) zu Wort. Ihrer Meinung nach kann die EU das Sicherheitsgefühl steigern (z.B. durch Erfolge in der Finanzkrise), aber auch die Verunsicherung (z.B. durch Misserfolge in der Migrationsfrage).

Im Inneren steht die EU mittlerweile vor der Herausforderung, aus sehr vielen unterschiedlichen Ländern zu bestehen. Das macht eine Vertiefung schwierig und führt zu Spannungen. Besonders deutlich wird dies bei der Währungsunion, die eine gemeinsame Politik für Länder mit gegensätzlichen Ausgangslagen entwickeln müsste, erläutern die ExpertInnen.

International gerät die EU immer mehr unter Druck durch die USA, Russland, China etc. Daher bräuchte sie dringend eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die ExpertInnen sehen die Umsetzung aber skeptisch. Vergleichsweise zuversichtlich sind sie hingegen bei der Außenhandelspolitik.

Das Vertrauen der Menschen in die EU ließe sich durch intensivere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und gemeinsame Projekte steigern. Auch die Möglichkeiten der BürgerInnen, mitzuwirken, sollten ausgebaut werden, um die Identifikation mit der Europäischen Union zu fördern.

Heute hemmt ein neuer Nationalismus die Zusammenarbeit in der EU und darüber hinaus. Den neuen Nationalismus erklären die ExpertInnen mit individuellen Motiven ebenso wie als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen. In den östlichen Mitgliedsländern der Union kommt die schwierige Entwicklung nationaler Identität in der Ostblockzeit noch hinzu.

Verunsicherung leistet dem Nationalismus Vorschub. Die EU und andere Akteure tragen dazu bei, wenn sie z.B. in der Flüchtlingspolitik versagen. Der Nationalismus kann dann wiederum die Haltung zur EU beeinträchtigen. Diese Dynamik kann sich aber umkehren, wenn die Menschen sehen, dass Probleme sich nicht national lösen lassen und gemeinschaftliches Handeln zweckmäßig wäre, meinen ExpertInnen.

„Die Bedrohung durch das Corona-Virus haben wir im Rahmen dieser Studie noch nicht berücksichtigen können. Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Wirtschaft und unser Leben haben wird, lässt sich noch nicht absehen, müssen aber von völlig neuen Ansätzen in der Gesellschaftspolitik ausgehen. Es ist aber anzunehmen, dass diese Krise den Nationalismus stärken wird. Wie die EU mit der Krise und ihren Folgen umgeht, wird dazu beitragen, wie die Menschen die Union in Zukunft bewerten und ob bzw. in welchem Ausmaß nationalistische Tendenzen zunehmen,“ gibt Dr. Bauer zu bedenken.

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