Bayr: Beängstigende demokratiepolitische Entwicklungen in der Türkei

Wien (OTS/SK) – Nachdem in der Türkei diese Woche das Verbot der Oppositionspartei HDP, der Demokratischen Volkspartei, von einem Gericht angeordnet wurde und damit 700 gewählte Politiker*innen mit einem Politikverbot belegt werden sollen, macht Erdogan wahr, was er seit Monaten ankündigt: mit einem mitternachts veröffentlichten präsidentiellen Dekret will er verfügen, dass die Türkei nicht mehr Mitglied der Istanbul Konvention ist. ****

Für Petra Bayr, Vorsitzende des Ausschusses für Gleichbehandlung und Antidiskriminierung der parlamentarischen Versammlung des Europarats, ist dies aus mehreren Gründen alarmierend: „Seit Beginn des Jahres sind über 70 Frauen in der Türkei ermordet worden, zumeist von Tätern aus ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld. Niemand kann also behaupten, dass das Land kein Problem mit geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt hätte!“ Die Istanbul Konvention ist das modernste und effektivste rechtliche Mittel, das es gegenwärtig gibt, um Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen. „Offenbar hat die türkische Justiz ein Problem mit der Umsetzung der international hoch geschätzten Konvention, beschützt sie doch nach wie vor sehr viele männliche Täter in Fällen von Genoziden und Gewalt gegen Frauen“, vermutet Bayr einen der Beweggründe hinter diesem grob fahrlässigen Schachzug Erdogans, dessen Opfer die in der Türkei lebenden Frauen sind.

„Außerdem ist die Entscheidung demokratiepolitisch alarmierend:
die Ratifizierung der Istanbul Konvention lief – wie völkerrechtlich üblich – über das türkische Parlament. Dass Erdogan jetzt per Dekret einen demokratischen Beschluss ausheben will, ohne parlamentarische Diskussion, ohne das übliche Prozedere und ohne auf die realpolitischen Folgen für die Frauen zu achten, fügt sich leider in die Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung der letzten Jahre ein, die zuletzt im gerichtlichen Verbot der HDP ihren Ausdruck fand“, so die Nationalratsabgeordnete.

Ungeachtet und offenbar als Trotzreaktion auf eine Dringlichkeitsdebatte in der parlamentarischen Versammlung des Europarats gestern Nachmittag und der Kritik der EU, wütet der türkische Präsident ohne Rücksicht auf Verluste. „Der Schutz der Frauen vor Gewalt, das Anerkennen demokratischer Spielregeln, das Respektieren von Oppositionsparteien und Kritik, eine freie Justiz und eine unabhängige Wissenschaft und Lehre – das alles trägt Erdogan zu Grabe, weil es ihm wichtiger ist, damit von seinem wirtschaftlichen Versagen und groben Fehlern im Umgang mit der Pandemie abzulenken“, kritisiert Bayr die Verantwortungslosigkeit der türkischen Regierungspolitik. (Schluss) up

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