Sobotka im Gespräch über Stärken und Schwächen der österreichischen Verfassung

Sobotka im Gespräch über Stärken und Schwächen der österreichischen
Verfassung

Wien (PK) – Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der österreichischen Bundesverfassung sind im Parlament eine Reihe von Veranstaltungen geplant. Den Auftakt machte heute eine Diskussion im Wiener Akademischen Gymnasium, die Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka moderierte und an der Verfassungsrichter Christoph Herbst und die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Elisabeth Lovrek teilnahmen. Was macht die österreichische Verfassung so einzigartig, welche Kritikpunkte gibt es an ihr und wie sollte sie weiterentwickelt werden, waren nur einige der Themenstellungen, die dabei zur Sprache kamen. Die teilnehmenden SchülerInnen des Gymnasiums, an dem Hans Kelsen, einer der „Architekten der Verfassung“, im Jahr 1900 maturiert hatte, waren eingeladen, Fragen zu stellen.

„Die Bundesverfassung hat sich als ein unerschütterliches Fundament unser freien, demokratischen Republik erwiesen“, betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. „So sehr wir darauf vertrauen können, dass sie Schutz vor antidemokratischen Strömungen, Totalitarismus und politischer Willkür bietet, so sehr liegt es an jeder und jedem Einzelnen von uns, sie immer wieder aufs Neue mit Leben und Bedeutung zu erfüllen.“ Der Nationalratspräsident würdigte die Rolle von Hans Kelsen, der fast im Alleingang das Bundes-Verfassungsgesetz formuliert habe und als einer der bedeutendsten Juristen weltweit geschätzt werde. Er schuf die Grundlagen für ein Gesetzeswerk, das die Grundrechte garantiere und das politische Zusammenleben und Arbeiten regle. Er wolle alle jungen Menschen dazu ermuntern, sich am politischen Prozess zu beteiligen, „denn sie werden es sein, die die Zukunft gestalten“, sagte Sobotka.

OGH-Präsidentin Elisabeth Lovrek bezeichnete die österreichische Bundesverfassung als Gesamtkunstwerk, das sich aus ihrer Sicht insbesondere durch die starke Stellung des Verfassungsgerichtshofs auszeichne. Kritisch beurteilte sie hingegen, dass es sehr viele Verfassungsbestimmungen außerhalb des B-VG gebe und dass kein einheitlicher Grundrechtekatalog in der Verfassung verankert sei. Auch eine Föderalismusreform wäre höchst an der Zeit.

Durch das B-VG aus dem Jahr 1920 wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass Gesetze überprüft und somit der Souverän kontrolliert werden konnte, hob Verfassungsrichter Christoph Herbst hervor. Auch er bemängelte, dass es mittlerweile so viele verstreute Verfassungsbestimmungen gebe, deren genaue Zahl wohl niemand kenne. Generell sei das B-VG „sehr trocken und neutral“ formuliert; es „strotze nicht an Werten“. Die fehlende Verankerung der Grundrechte sei darauf zurückzuführen, dass sich die politischen Parteien nie darauf einigen konnten. Ebenso wie Lovrek machte er darauf aufmerksam, dass sich die Verfassung durch den Beitritt zur Europäischen Union sehr stark verändert habe.

Einig waren sich die beiden DiskutantInnen Lovrek und Herbst darin, dass die Veröffentlichung von sogenannten „dissenting opinions“ im Rahmen von VfGH-Entscheidungen eine überlegenswerte Idee sein könnte. Vor allem bei wesentlichen gesellschaftspolitischen Fragen, wie aktuell bei der Debatte über das Thema „Sterbehilfe“, wäre dies gut, meinte etwa Elisabeth Lovrek, aber nur, wenn es keine Verpflichtung zur Veröffentlichung gebe. Was die von Sobotka aufgeworfene Möglichkeit einer „Ewigkeitsklausel“ betrifft, zeigten sich beide RechtsexpertInnen skeptisch. Rein formale Vorschriften seien zu wenig, es hänge immer auch von den handelnden Personen ab, urteilte Christoph Herbst. Auf Fragen der SchülerInnen zu den Corona-Maßnahmen angesprochen, verwies Lovrek auf den Verfassungsgerichtshof, mit dem Österreich über ein wunderbares Kontrollsystem verfüge. (Schluss) sue

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments. Diese Veranstaltung kann auch als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments abgerufen werden.

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