Wien (PK) – Der Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der österreichischen Vertretung der Europäischen Kommission und dem Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments, sich mit der Zukunft der Europäischen Union auseinanderzusetzen, folgten gestern eine Vielzahl hochrangiger VertreterInnen ins Haus der EU in Wien. Unter dem Titel „Vorausschauender Rückblick nach dem Brexit“ wurde anlässlich der 25-jährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs über das vergangene Vierteljahrhundert resümiert und über gegenwärtige Herausforderungen diskutiert. Im Zentrum stand dabei der Aspekt der Bürgerbeteiligung, dem künftig mit der Konferenz zur Zukunft Europas mehr Rechnung getragen werden soll.
Große EU-Themen sollen BürgerInnen näher gebracht werden
Mit den Worten „Die Arbeit an der Zukunft beginnt jetzt“ eröffnete der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich Martin Selmayr die Veranstaltung und benannte zugleich die großen EU-Themen der Gegenwart. Es gehe darum, den Klimawandel, die Digitalisierung, die Erweiterung am Westbalkan sowie den Haushalt nicht auf abstrakter Ebene zu diskutieren, sondern näher an die BürgerInnen zu bringen. Europa sei ein gemeinsames Projekt, bei dem alle mitwirken können, sagte er. In den kommenden zwei Jahren werde dies mit der von der Kommission angekündigten „Konferenz zur Zukunft Europas“ in jeder Gemeinde geschehen.
Die BürgerInnen zu Verbündeten zu machen, um Europa gemeinsam weiter zu gestalten – dazu rief auch der Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas auf, der eine Videobotschaft an die anwesenden Gäste richtete. Mit dem Startschuss zur Konferenz soll die „Zukunftsgeschichte EU“ mit höchster Sorgfalt weitergeschrieben werden, insbesondere weil ihre Handlungsfähigkeit – Stichwort Brexit – trotz der vielen Erfolge an die Grenzen stoße, so Karas.
Bundesratspräsident Seeber: Breiter Dialog als Chance für Weiterentwicklung der EU
Um Fehler wie den Austritt Großbritanniens in Zukunft zu vermeiden und um den evidenten strukturellen Problemen, an denen die EU leide, entgegenzutreten, gelte es, die Möglichkeit einer offenen, inklusiven und transparenten Debatte zu schaffen, sagte der Präsident des Bundesrats Robert Seeber. Unter der Beteiligung von BürgerInnen, Sozialpartnern und lokalen Behörden soll die Konferenz zur Zukunft Europas als eine Art „Anleitung“ zur Weiterentwickelung der EU dienen. Freilich werde man versuchen, diese Empfehlungen auch umzusetzen. Während man die großen Themen der EU überlassen solle, seien regionale Themen aber oft besser auf nationaler Ebene zu lösen, sagte Seeber. Den Herausforderungen der Zukunft könne man nicht nur mit Idealen sondern mit rationalen und nüchternen Entscheidungen begegnen, um die Situation des Einzelnen nachhaltig positiv zu beeinflussen. Als Präsident der Länderkammer sei es ihm ein großes Anliegen, dass das österreichische Parlament dabei als aktiver Impulsgeber auftritt.
Kommissar Hahn: EU muss aktiver Gestalter auf Weltbühne sein
Der EU-Kommissar für Haushalt und Verwaltung Johannes Hahn beschäftigte sich in seiner Keynote mit der Frage, wie man das Gewicht Europas in der Welt nachhaltig sichern könne. Österreich habe seine Rolle im Herzen Europas in den letzten 25 Jahren zu nutzen gewusst und von der Union überdurchschnittlich profitiert. Die staatliche Souveränität könne man nur absichern, wenn man Teil einer größeren Familie ist und sich den wirtschaftlichen Möglichkeiten bedient, zeigte er sich überzeugt. Angesichts des internationalen Wettbewerbs werde es für die Zukunft der EU von Bedeutung sein, Standards zu setzen und aktiver Gestalter auf der Weltbühne – ein sogenannter „first mover“ – zu sein. Die Vielfalt der Kulturen müsse man dabei als Stärke wahrnehmen.
Paneldiskussion: Debatte über Zukunftskonferenz und Europäische Verfassung
Stefan Lehne, Visiting Scholar der Carnegie Europe in Brüssel, sprach bei der anschließenden Paneldiskussion von einer Fragmentierung des politischen Spektrums in Europa, wodurch es schwieriger werde, zu regieren. Das Vertrauen in die EU habe sich in den letzten drei Jahren zwar verbessert, es herrsche aber nach wie vor Skepsis. Die Zukunftskonferenz ist für ihn eher ein Nebenthema – das Problem liege aus seiner Sicht mehr in der Methodik bzw. der Art, Politik zu machen. Im Gegensatz zu Ulrike Guérot, Leiterin des Departement für Europapolitik und Demokratieforschung der Donau-Universität Krems, die sich für neue Strukturen im Sinne einer Europäischen Verfassung aussprach, will Lehne Sachthemen dafür nicht aufschieben.
Ulrike Guérot wandte zur Zukunftskonferenz ein, aus ihrer Sicht werde damit in nationalen Kontexten diskutiert werden. Außerdem würden BürgerInnen dabei nur konsultiert – es müsse aber dringend die Frage nach Souveränität und Verfassung geklärt werden. Dafür reiche vermutlich eine „Schaufensterkonferenz“ nicht, monierte Guérot. Ihre größte Sorge sei, dass das Ergebnis letztlich in den Schubladen der Kommission „versandet“. Aus ihrer Sicht gibt es in der EU keine intakten Nationalstaaten mehr. Noch vor den Sachthemen müsse daher endlich die Frage eines institutionellen Neuaufbaus der EU gelöst werden. Die Zukunft der EU hänge an der Legitimität der politischen Verfassung und einer Europäischen Verfassung, so Guérot.
Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, glaubt trotz der „bitteren Pille“ Brexit an Chancen und an steigendes Interesse von BürgerInnen an der EU. Er teilt die Kritikpunkte zur Struktur der Zukunftskonferenz, würde aber die Gelegenheit nutzen, Vorschläge zu machen, um grenzüberschreitend zu diskutieren. Ein neuer Konstitutionalisierungsprozess würde aus seiner Sicht länger dauern, als Zeit bleibe, um die wichtigen Sachthemen zu lösen. Er sei nicht grundsätzlich gegen einen solchen Vorschlag, es gelte jetzt allerdings, Erwartungen in die Politik zu erfüllen, national und auf EU-Ebene, etwa hinsichtlich des Klimawandels.
Präsentiert wurde zudem die Publikation der Parlamentsdirektion „Fundamente – Meilensteine der Republik“ mit sowohl rückblickenden als auch vorausschauenden Beiträgen von Ernst Bruckmüller, Michael Gehler, Thomas Pankratz, Paul Schmidt, Barbara Schrank und Herbert Vytiska.
Zum 25-Jahr-Jubiläum Österreichs in der EU kann auf dem Heldenplatz seit Beginn des Jahres eine frei zugängliche Installation besichtigt werden. Das Leitmotiv beruht auf den Farben der Flaggen der EU-Mitgliedsländer. (Schluss EU-Veranstaltung) fan/mbu
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
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