Wien (OTS) – Am 10. Dezember 1938 setzt sich am Westbahnhof der erste Wiener Kindertransport in Bewegung. Jeder zurückgelegte Kilometer Richtung Großbritannien bedeutet für die jüdischen Kinder in den Waggons ein Stück mehr Sicherheit, ja Lebensrettung. Gleichzeitig ist es ein Kilometer weiter weg von den Eltern. „Das letzte Mal sah ich meine Eltern am Westbahnhof am 16. Dezember 1938!“ Fred Grubers Eltern wurden im Holocaust ermordet, wie die der meisten Kindertransport-Kinder. Robert Gokls „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Auf Wiedersehen Mama, auf Wiedersehen Papa“ erzählt im Rahmen des ORF-Zeitgeschichteschwerpunkts zu Novemberpogromen und 80 Jahre Zweiter Weltkrieg am Dienstag, dem 5. November 2019, um 22.35 Uhr in ORF 2 die Geschichte ihrer traumatischen Flucht, schildert die Probleme der Integration in der Fremde und die posttraumatischen Folgen bis heute.
Um 23.25 Uhr folgt das TV-Drama „Die Kinder der Villa Emma“:
Gemeinsam mit August Zirner und Ludwig Trepte bricht Nina Proll in Richtung Villa Emma auf und führt Sophie Stockinger und andere Kinder und Jugendliche im Jahr 1941 auf der gefährlichen Flucht vor dem Naziterror nach Palästina. Drehbuchautorin Agnes Pluch und Regisseur Nikolaus Leytner erzählen in dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden historischen ORF/ARD-Fernsehfilm von der Entwurzelung junger Menschen und vom Verlassen und Finden von Heimat. Vor der Kamera standen neben Sophie Stockinger, Ludwig Trepte, Nina Proll und August Zirner auch Laurence Rupp, Muriel Wimmer, Juri Zanger, Justus Schlingensiepen, Maximilian Paier, Enzo Gaier und Mila Voigt.
Menschen & Mächte: „Auf Wiedersehen Mama, auf Wiedersehen Papa – Die Geschichte der Kindertransporte“
Das Novemberpogrom 1938 macht deutlich, was der jüdischen Bevölkerung Nazi-Deutschlands bevorsteht. Robert Shaw: „Ich kann mich an die Kristall-Nacht erinnern. Eine brennende Synagoge mit SA und SS-Männern!“ Dennoch wollen die meisten Staaten keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Großbritannien ist zumindest bereit, Kindern die Einwanderung zu erlauben – solange sie der britischen Regierung keine Kosten verursachen. Aber wie sollen Kinder ohne Eltern nach Großbritannien fliehen? Eine Niederländerin findet eine Lösung und wird zur Retterin Tausender jüdischer Kinder: „Eichmann saß in einem großen Raum, in einer schwarzen Uniform, mit einer großen Lampe und einem riesigen Hund. Ich ging zu ihm hin und sagte: ‚Herr Doktor, ich bin Frau Wijsmuller und möchte gern mit Ihnen sprechen.‘ Geertruida Wijsmuller-Meijer, eine holländische Bankiers-Gattin, erreicht in hartnäckigen Verhandlungen, dass Adolf Eichmann jüdischen Kindertransporten zustimmt. Britische Hilfsorganisationen wie die Quäker bringen das notwendige Geld auf.
Zwischen dem 10. Dezember 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 rollen insgesamt 22 Züge gegen Westen, Richtung England. Knapp 3.000 Mädchen und Burschen können bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Österreich verlassen und vor Verfolgung und Deportation gerettet werden, ebenso Kinder aus Deutschland, der Tschechoslowakei und Polen. In Summe entkamen so rund 10.000 Kinder und Jugendliche dem sicheren Tod.
Die psychologischen und mentalen Folgen der Kindertransporte waren immens. Denn was die Eltern als Lebensrettung verstanden, deuteten die Kinder oft als abrupten und absoluten Verlust familiärer Geborgenheit. Francis Wahle, neun Jahre alt bei seiner Flucht: „Ich kenne Kinder, die ihre Eltern beschuldigt haben, dass sie sie verstoßen haben statt gerettet.“ Etwa sechs von zehn Kindern sahen ihre leiblichen Eltern nie wieder. Für überlebende Eltern wurde das Wiedersehen oft zum Fiasko. Die Kinder hatten sich nach vielen Jahren in einer liebevollen Pflegefamilie an diese gewöhnt und leibliche Eltern genauso wie Muttersprache vergessen. Kehrten sie dennoch nach Österreich zurück, kam das meist einem Neuanfang in einer völlig fremd gewordenen Welt gleich. Eine lediglich körperliche, nicht jedoch auch emotionale und mentale „Heimkehr“.
Erich Reich aus Wien blieb in London und ist heute Vorsitzender der Vereinigung der Kindertransport-Kinder: „Meine Eltern haben mir zweimal das Leben geschenkt: das erste Mal bei der Geburt, das zweite Mal, als sie mich mit vier Jahren in einen Kindertransport setzten!“ Auch Erich Reichs Eltern wurden ermordet.
„Die Kinder der Villa Emma“
Es sind junge Menschen, die meisten noch Kinder, die 1941 aus Wien, Graz, Berlin und anderen Städten des Deutschen Reichs zu Kindertransporten zusammengezogen werden. Die Flucht vor den Nazis bedeutet die Trennung von ihren Familien, den Bruch mit der österreichischen, der deutschen Heimat. Bezahlte Schlepper führen sie auf verschlungenen Wegen an den Nazi-Häschern vorbei. In der Villa Emma in Oberitalien finden sie kurz zur Ruhe, bevor die Flucht weitergeht nach Palästina. In aller Not, bei aller Bedrängnis sind sie immer noch junge Menschen, die um das Erwachsenwerden ringen, die sich befreunden und verlieben, trauern und lachen – und füreinander Opfer bringen.
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