Wien (PK) – Breit gestreut war die Palette der Themen, die die Parteien bei der heutigen Nationalratsdebatte über die Dringliche Anfrage der NEOS zu drohenden Gefahren durch Desinformation im Vorfeld der EU-Wahl anschnitten. Kreuz und quer ging es unter anderem um Fake News im Internet, die Russlandkontakte der FPÖ, notwendige Deregulierungsschritte auf EU-Ebene, die Bedeutung von Medienkompetenz, die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und die Arbeit der Geheimdienste. Einen gewissen roten Faden bildeten die bevorstehenden Europawahlen, mehr als einmal wurden die Wortmeldungen für Wahlkampf genutzt. Dabei zeigten sich nicht nur Differenzen zwischen Regierung und Opposition, sondern auch zwischen den Regierungsparteien.
Lopatka will Europa wieder näher an die Menschen bringen
Viele Menschen hätten den Eindruck, dass die EU mehr mit sich selbst beschäftigt sei als mit drängenden Problemen, hielt etwa ÖVP-Europasprecher Reinhold Lopatka fest. Auch greife die EU schleichend immer mehr in Politikfelder ein, für die sie nicht zuständig sei. Das sorge für Unbehagen in der Bevölkerung, das die ÖVP, anders als die SPÖ, ernst nehme. Die EU dürfe kein „Kopfprojekt“ sein, mahnte er. „Wir müssen die Europäische Union wieder näher an die Menschen bringen.“ Wichtig sind Lopatka in diesem Sinn weniger Regulierung, bürgernahe Lösungen und die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips.
Was das Thema Desinformation betrifft, meinte der ÖVP-Europasprecher, „wir sehen die Gefahr“. Er hält die Bedenken der NEOS, auch was russische Beeinflussungen betrifft, aber für übertrieben. Lopatka verwies überdies auf das Treffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Russlands Präsident Vladimir Putin und dessen Einladung durch den Bundespräsidenten nach Salzburg.
„Es ist die Aufgabe von uns allen, gegen Falschinformation vorzugehen“, stellte Karl Nehammer (ÖVP) in den Raum, vor allem die Parteien seien gefragt, dafür zu sorgen, dass Fake News nicht in den politischen Alltag einziehen. Mit Verweis auf die bis heute bestehende Zusammenarbeit der SPÖ mit einem „Silberstein-Mitarbeiter“, der im Vorfeld der Nationalratswahl 2017 antisemitische und rassistische Inhalte ins Internet gestellt hat, stelle sich die Frage, ob in Österreich dagegen genug getan worden sei. Die SPÖ jedenfalls habe Propaganda und Desinformation in ihrer Arbeit verinnerlicht. Es gehe um Fake News und die offene Frage, warum sich die SPÖ bis dato nicht von diesem Mitarbeiter getrennt hat, meinte ebenfalls Gabriela Schwarz (ÖVP).
Die sogenannte Silberstein-Affäre bezeichnete Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP) als Tiefpunkt, wenn es um digitale Medien und Wählerinformation geht. „Informationen sind ein wichtiger Bestandteil des Meinungsbildungsprozesses und notwendig für das Funktionieren einer Demokratie“, rief die Abgeordnete ins Bewusstsein. Maßnahmen wie der EU-Verhaltenskodex seien wichtige Schritte, die es weiter zu forcieren gelte. Allerdings könne nicht alleine die Politik entscheiden, was wahr oder falsch ist. Es brauche auch unabhängige Institutionen, Medien und Wissenschaftler.
Leichtfried: Kurz hat trojanisches Pferd in die Regierung geholt
Weniger entspannt sieht Jörg Leichtfried (SPÖ) die Sachlage. Als er den nunmehrigen Bundeskanzler Sebastian Kurz kennengelernt habe, habe er geglaubt, dass er mit ihm in großen Fragen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit einer Meinung sei, führte er aus. Jetzt sei er sich aber nicht mehr sicher, ob der Kanzler tatsächlich auf der gleichen Seite wie er stehe. Schließlich habe Kurz mit der FPÖ eine Partei in Regierungsverantwortung geholt, die offenbar die Zugehörigkeit zum westlichen Wertesystem und zur gelebten Neutralität nicht wirklich in sich trage.
Sowohl die Kontakte mit „Rechtsextremen“ als auch die Kontakte mit Russland würden die FPÖ zu einer „Sicherheitsrisikopartei“ machen, warnte Leichtfried. „Dafür werden wir lange die Folgen tragen.“ Schließlich seien die österreichischen Geheimdienste von Informationen abgeschnitten, die für die Terrorbekämpfung und die Bekämpfung von Destabilisierungsversuchen nötig wären. Die FPÖ sei das „blaue trojanische Pferd“ der französischen RN-Chefin Marine Le Pen und Putins, so Leichtfried.
SPÖ-Abgeordneter Thomas Drozda (SPÖ) machte in Anlehnung auf ein Zitat von Hannah Arendt darauf aufmerksam, dass es jenen, die lügen, nicht um das Lügen gehen würde, sondern darum, jeglichen Glauben an etwas zu zerstören. Russische Online-Netzwerke würden seit Jahren vorzeigen, wie man Meinungen manipuliert, Nachahmer seien neben anderen Beispielen in Europa auch in der FPÖ zu finden.
Die Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze vonseiten der ÖVP und FPÖ brachten Muna Duzdar und Philip Kucher (beide SPÖ) aufs Tapet. Es stelle sich die berechtigte Frage, wer die Geldgeber der beiden Koalitionsparteien seien, so Duzdar. „Niemand weiß, woher das Geld gekommen ist“, machte auch Kucher geltend. Er vermutet hinter der ÖVP Großspender aus der Immobilienwirtschaft und Industrie, für die es nun „Steuerzuckerl“ gebe. Fake News-Beispiele gebe es jedenfalls auch vonseiten der Regierung eine jede Menge. Etwa die angekündigte Patientenmilliarde, die vom Rechnungshof nicht nachvollzogen werden könne.
Haider: FPÖ hat Kontakte zu „patriotischen freiheitsliebenden Kräften“
Die von der Opposition gegen die FPÖ erhobenen Vorwürfe wies FPÖ-Abgeordneter Roman Haider als absurd zurück. Ja, die FPÖ habe Kontakte zu Parteien im Ausland, meinte er, er kann allerdings nichts Verwerfliches daran erkennen, die Interessen der „patriotisch freiheitsliebenden Kräfte“ zu bündeln. Zumal die FPÖ nicht nur Kontakte zu Russland, sondern etwa auch zur USA pflege. So habe Verteidigungsminister Mario Kunasek erst vor Kurzem in den USA eine Kooperation zwischen Österreich und der US-Armee vereinbart. Jede Großmacht habe ihre Interessen und verfolge diese, sagte Haider, Österreich verstehe sich dabei als Brückenbauer zwischen Ost und West. „Wir können nur durch Miteinander und Dialog das Beste für uns herausholen.“
Kritisch äußerte sich Haider zum EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahlen Manfred Weber, dem er unter anderem die Ablehnung der russischen Gaspipeline North Stream und die Bevorzugung einer Koalition mit „linkslinken“ gegenüber „patriotischen“ Kräften vorwarf. Die FPÖ sei der einzige Garant für mehr Österreich und weniger Bevormundung aus Brüssel, warb er für ein Kreuz bei seiner Partei bei den bevorstehenden Europawahlen.
Den Inhalt der NEOS-Dringlichen bezeichnete Christian Hafenecker (FPÖ) als krude Vorwürfe. „Vielleicht bestellen Sie sich einen Aluhut oder ein Alu-Nudelsieb, damit Sie diesen Strahlungen widerstehen“, so Hafenecker in Richtung der Oppositionspartei. Hans Peter Haselsteiner habe NEOS finanziert und gleichzeitig „halb Sotschi gebaut“, im Vergleich zu den NEOS besitze die FPÖ kein russisches Geld. Desinformationskampagnen im Netz würden zudem nicht russische Netzwerke betreiben, sondern die SPÖ mit Blogs wie kontrast.at oder FPÖ-Fails. „Die SPÖ produziert Fake News“, so Hafenecker, derart abartige Seiten müssten sofort eingestellt werden.
Dem Vorwurf an die Adresse der SPÖ, kontrast.at würde nicht ausweisen, dass es von sozialdemokratischen MitarbeiterInnen betrieben wird, entgegnete Johannes Jarolim (SPÖ) mit dem Verweis auf ein entsprechendes Impressum auf der Website des Blogs.
FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan (FPÖ) sieht keine große Bedrohung durch Desinformation im Netz, die NEOS würden in der Dringlichen Anfrage Verschwörungstheorien auftischen. Fake News seien älter als das Internet, das einzig Neue daran sei die schnelle Verbreitung, so Stefan. Tatsache sei, dass von Weltmächten schon immer Propagandakriege geführt worden seien. Bezüglich einer in den Raum gestellten möglichen finanziellen Unterstützung der FPÖ durch Russland verwies Stefan auf das Parteiengesetz. „Die FPÖ ist völlig transparent“, so der Abgeordnete.
Gamon: Lügen im Internet zerstören Demokratie
Es sei notwendig, Kindern und Erwachsenen Instrumente in die Hand zu geben, um Desinformation zu erkennen, mahnte Claudia Gamon von den NEOS. „Wir müssen die Bevölkerung mit Information und mit Bildung wappnen.“ Immer mehr BürgerInnen sei nicht mehr klar, was Lüge und was Wahrheit ist. Das helfe Parteien, die auf Lügen bauen. Die liberalen Demokratien in Europa seien in nachhaltiger Gefahr, warnte Gamon und warf Bundeskanzler Sebastian Kurz und der Regierung massive Versäumnisse vor. Seit der letzten Nationalratswahl sei nichts passiert, um die Medienkompetenz zu erhöhen und unabhängigen Journalismus zu stärken.
Als konkretes Beispiel für Fake News nannte Gamon Meldungen, die sich beim Brand von Notre Dame „in unfassbarer Geschwindigkeit“ im Internet verbreitet haben, wobei sowohl österreichische als auch russische Accounts beteiligt waren. Inhalt dieser Meldungen sei unter anderem gewesen, dass der Brand von Islamisten gelegt worden sei und dass Muslime in aller Welt über den Brand lachen würden.
Die Angriffe auf liberale Demokratien durch Fake News und Desinformation im Netz seien der Regierung einfach egal, bemängelte Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS), Kanzler Kurz habe in seiner Beantwortung der Dringlichen Anfrage eine Wahlkampfrede gehalten. Bisherige Gegenmaßnahmen der Regierung, wie der geplante Identitätsnachweis auf Online-Portalen, würden an Zensur erinnern. Langfristige Maßnahmen gebe es nur eine, nämlich Bildung. „Es geht um unsere Demokratie, wir müssen dringend handeln und nicht mehr nur zuschauen, wie sie das als Regierung die ganze Zeit machen“, so Hoyos-Trauttmansdorff.
Österreich habe eine Regierung, die die Menschen nicht vor Angriffen mit Desinformation im Netz bei der EU-Wahl schützen will, kritisierte ebenfalls Stephanie Krisper (NEOS). Der FPÖ seien diese Entwicklungen egal, weil sie mit Russland gemeinsame Sache machen würde, Kanzler Kurz wiederum würde alles in Kauf nehmen, solange die Umfragen stimmen. Ihr Fraktionskollege Nikolaus Scherak (NEOS) vermisste in der Nationalratsdebatte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Die FPÖ habe jedenfalls gezeigt, dass sie nicht nur nicht an Klimawandel glaube, sondern auch nicht an Fake News. Kurz habe eine Woche vor der Europawahl keine Antwort darauf gegeben, ob Österreich ausreichend vor etwaigen Desinformationskampagnen gewappnet ist.
Zadić: EU findet kein wirksames Mittel gegen Desinformationskampagnen
Auf Probleme durch Falschinformationen machte auch Alma Zadić (JETZT) aufmerksam. Die EU finde kein wirksames Mittel gegen Desinformationskampagnen, vor allem, wenn deren Ursprung innerhalb Europas liege, klagte sie. Eine gewichtige Rolle misst sie dabei Russland zu, wo sich neben Gas auch Fake News zu einem „Exportschlager“ entwickelt hätten. Allein rund um das Brexit-Referendum seien 150.000 russische Fake-Accounts auf Twitter gesperrt worden, so Zadić. Ziel der Desinformation sei es, Europa zu schwächen und eine starke EU zu verhindern.
Als problematisch sieht Zadić in diesem Zusammenhang auch die „freiheitlich-russische Freundschaft“. Diese sei schon länger bekannt und gut dokumentiert, meinte sie. Das führe auch dazu, dass ausländische Geheimdienste mit den österreichischen Diensten nicht alle Informationen teilen. Sie hätten Angst, dass Informationen an Russland weitergeleitet werden. (Fortsetzung Nationalrat) gs/keg
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