ParlamentspräsidentInnenkonferenz diskutiert über Weiterentwicklung der EU

Wien (PK) – Mit einer Diskussion über die Weiterentwicklung der EU und die künftige Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und den EU-Institutionen startete der zweite Tag der Konferenz der ParlamentspräsidentInnen der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments in Wien. Der Präsident des deutschen Bundestags Wolfgang Schäuble, die Präsidentin der niederländischen „Eerste Kamer“ Ankie Broekers-Knol, der Präsident des französischen Senats Gerard Larcher und der Präsident des polnischen Sejm Marek Kuchcinski übernahmen die Rolle der Impulsgeber, wobei sie sich weitgehend darin einig zeigten, dass sich die EU in Zukunft stärker auf „große Fragen“ konzentrieren solle. Was das gegen Polen laufende Rechtsstaatlichkeitsverfahren anbelangt, warf Kuchcinski der EU vor, mit zweierlei Maß zu messen.

Den Mitgliedstaaten bei jenen Themen, die die Bevölkerung direkt berühren, wieder mehr Spielraum zu geben, ist auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein Anliegen. Es würde das Vertrauen der BürgerInnen in die Union stärken, wenn die kleinen Dinge bürgernah geregelt würden, ist er überzeugt. Gleichzeitig sollte seiner Meinung nach die Schlagkraft der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik und der Handelspolitik verbessert werden, damit Europa im internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen kann.

Sobotka hob eingangs des zweiten Diskussionspanels der Konfernz überdies die Bedeutung des gemeinsamen Bekenntnisses der EU-Staaten zu Rechtsstaatlichkeit, zu den Grund- und Menschenrechten und zur parlamentarischen Demokratie hervor. Wer an diesen Grundprinipzien rüttle, stelle das Fundament des europäischen Einigungswerks in Frage, warnte er. Überdies gelte es, den modernen säkularen Staat als ein zentrales Merkmal Europas gegenüber radikalislamischen oder anderen extremistischen Kräften zu verteidigen sowie Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.

Schäuble: Europa ist in der Lage, seine Probleme zu meistern

Der Präsident des deutschen Bundestags Wolfgang Schäuble betonte, dass die EU alle Möglichkeiten habe, ihre Probleme selbst zu meistern. Es sei richtig, dass die EU derzeit einem Stresstest ausgesetzt sei, meinte er, aber auch in der Vergangenheit sei es gelungen, aus Krisen gestärkt hervorzugehen und den Einigungsprozess fortzuschreiben.

Optimistisch stimmt Schäuble in diesem Zusammenhang, dass die Zustimmung der EuropäerInnen zur EU steigt. Allerdings gebe es wachsende Zweifel an der Lösungsfähigkeit der europäischen Institutionen. Um effizienter zu werden, schlägt der Bundestagspräsident vor, sich auf EU-Ebene pragmatisch auf die drängendsten Aufgaben zu konzentrieren. Als Beispiele nannte er die Umweltpolitik, die Grenzsicherheit, die Migrationsfrage und die Wirtschaftspolitik. Ebenso hält er eine gemeinsame europäische Rüstungs- und Verteidigungspolitik für zwingend.

Gefordert sieht Schäuble dabei auch die nationalen PolitikerInnen und Parlamente. Bei Fragen mit europäischer Dimension brauche es Kooperation, Kompromissfähigkeit und die Bereitschaft, auf EU-Ebene getroffenen Mehrheitsentscheidungen Vertrauen entgegenzubringen. Nationale Interessen und Besonderheiten würden den Blick der ParlamentarierInnen oft begrenzen, es sei aber wichtig, bei Debatten neben nationalen Standpunkten auch eine europäische Perspektive einzunehmen.

Broekers-Knol: Der EU nicht immer den Schwarzen Peter zuschieben

Auch die Präsidentin der niederländischen „Eerste Kamer“ Ankie Broekers-Knol hob die Bedeutung der Zusammenarbeit der EU-Staaten hervor. Viele Probleme wie Terrorismus, Klimawandel und Migration seien heute nicht mehr nationalstaatlich lösbar. Die Staaten müssten zusammenstehen und zusammenarbeiten, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Dafür brauche es aber keinen europäischen Bundesstaat, sagte Broekers-Knol, es gehe darum, Politik für die Menschen zu machen.

Um die Akzeptanz der EU-Politik zu erhöhen, sieht Broekers-Knol auch die nationalen Parlamente und ParlamentarierInnen gefordert. Man dürfe nicht ständig der EU den Schwarzen Peter zuschieben, sondern müsse der Bevölkerung auch den Mehrwert von EU-Entscheidungen erklären. Wesentlich sei es, Entscheidungsprozesse und Entscheidungen transparent zu machen.

Larcher: 2019 ist Jahr eines neuen Aufbruchs

Für den Präsidenten des französischen Senats Gerard Larcher ist das Jahr 2019 so etwas wie ein Schicksalsjahr. Entweder die EU zerbreche oder es gebe einen neuen Aufbruch, sagte er. Wobei sich Larcher durchaus optimistisch zeigte, dass dieser Aufbruch gelingt.

Viele BürgerInnen hätten Schwierigkeiten, sich mit der EU zu identifizieren, gab der französische Senatspräsident zu bedenken. Das liege nicht zuletzt daran, dass die nationalen Regierungen die EU häufig zum Sündenbock für ihr eigenes Scheitern machten. Europa müsse sich aber auch wieder stärker auf konkrete Initiativen besinnen. Die Menschen wollten ein Europa, das schützt, und ein Europa, das wächst. Es gelte, pragmatisch zu handeln und sich nicht in institutionellen Debatten zu verlieren. In Bereichen wie der Außen- und Verteidigungspolitik oder der Handelspolitik handle die EU nicht in dem Ausmaß, wie sie könnte, glaubt Larcher.

Um die nationalen Parlamente im EU-Gesetzgebungsprozess zu stärken, schlägt Larcher vor, die Frist für eine „gelbe Karte“ zu Vorschlägen der EU-Kommission von acht auf zwölf Wochen zu verlängern und ein Initiativrecht für die nationalen Parlamente („grüne Karte“) einzuführen. Ungeduldig ist Larcher in Sachen Brexit, es brauche einen verbindlichen Zeitplan.

Kuchcinski: EU behandelt neue und alte Mitglieder unterschiedlich

Der Präsident des polnischen Sejm Marek Kuchcinski warf der EU vor, jene Mitgliedsstaaten, die ab 2004 der EU beigetreten sind, anders zu behandeln als alte Mitgliedsstaaten. Das Justizsystem zu organisieren, sei nationale Kompetenz und die von Polen eingeleitete Reform stehe nicht nur in Einklang mit der polnischen Verfassung und mit den Europäischen Verträgen, sondern entspreche auch den Systemen in vielen anderen EU-Staaten, bekräftigte er. Vorwürfe gegenüber Polen, die Rechtsstaatlichkeit nicht einzuhalten, hält er daher für völlig unbegründet und sprach von einer Einmischung in interne Angelegenheiten. Das könne Polen nicht länger so akzeptieren.

Kuchcinski rief auch dazu auf, sich der gemeinsamen Werte und christlichen Wurzeln Europas zu besinnen und die gemeinsame europäische Identität nicht auf Wirtschaftsfragen, losgelöst von kulturellen und sozialen Belangen, zu beschränken. Zudem erachtet er es für notwendig, das Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen und den nationalen Parlamenten wieder herzustellen. Die Stärke der EU entspringe der Gemeinschaft der Staaten, man müsse die Vielfalt der Länder und die kulturellen Eigenheiten akzeptieren. Kritisch beurteilte Kuchcinski in diesem Zusammenhang auch die Vorschläge zum neuen mehrjährigen EU-Finanzrahmen und die darin vorgesehenen Kürzungen der Agrar- und Kohäsionsförderungen.

Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen nationalen Parlamenten und EU-Institutionen soll Vertrauen der BürgerInnen in die EU stärken

Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und des Brexit fokussierte die anschließende Debatte auf die Frage, wie man den Erwartungen der BürgerInnen und den Anliegen der WählerInnen in Anbetracht der vielseitigen gegenwärtigen Herausforderungen auf EU-Ebene gerecht werden könne. Antworten auf die Probleme des 21. Jahrhunderts müssten auf Grundlage des Pluralismus und der Solidarität gefunden werden, so der Tenor. Betont wurde die wesentliche Rolle der nationalen Parlamente für die Bürgernähe und für die Stärkung des Vertrauens der BürgerInnen in die EU.

Einig scheint sich der Großteil der VertreterInnen der Parlamente auch darin zu sein, dass die großen aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Migration und Sicherheit, der Kampf gegen den Terrorismus und den Antisemitismus sowie der Klimawandel nur auf europäischer Ebene gelöst werden können. In vielerlei Hinsicht, etwa beim Thema Cybersicherheit, gelte es, eine gemeinsame Sicht der Dinge zu entwickeln und weiteren Konsens zu finden. Auch für eine gemeinsame EU-Außenpolitik sollte eine gemeinsame integrierte Vision und Sichtweise erarbeitet werden. Mehrere KonferenzteilnehmerInnen betonten die Notwendigkeit der Überarbeitung der Leitlinien der interparlamentarischen Kooperation sowie die Notwendigkeit eines effizienteren, informellen raschen Informationsaustauschs.

Von einigen Seiten wurden die zunehmenden nationalistischen Tendenzen in Europa, der Populismus und die Euroskepsis problematisiert. In diesem Zusammenhang wurde an die Grundwerte der Europäischen Union zurückerinnert, immerhin sei die europäische Idee in erster Linie ein Projekt der Werte gewesen, das dem Pluralismus und dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung trägt. Zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und der Pressefreiheit tragen die nationalen Parlamente eine gemeinsame Verantwortung, die Demokratie auszubauen und europaweit voranzutreiben. (Schluss) gs/fan

HINWEIS: Fotos von der Konferenz der ParlamentspräsidentInnen finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV .

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