Wien (OTS) – Die Behandlungskosten für wenige Patienten mit hohem medizinischen Bedarf gehen oft in die hunderttausenden. Ob und wie das solidarisch finanzierte Gesundheitswesen durch teure Therapien und die Arzneimittelinnovationen der forschungskräftigen Pharmaindustrie für seltene Erkrankungen an seine Grenzen gebracht wird, darüber diskutierten Experten des Gesundheitswesens im Rahmen des Rare Diseases Dialog der Pharmig Academy.
Dass der Balanceakt zwischen Patientenbedürfnissen und Finanzierbarkeit bereits in der Forschung und Entwicklung beginnt, erläutert Dr. Friedrich Scheiflinger, Head Drug Discovery von Shire Austria GmbH. „Es gibt sehr wenig Wissen über die Erkrankungen und wenig Ärzte und Wissenschaftler, die sich damit auseinandersetzen. Das macht es besonders schwierig, die richtigen Ansatzpunkte für eine Arzneimittelentwicklung festzulegen. Damit eine ausreichende Anzahl an Patienten an den klinischen Prüfungen teilnimmt, muss in vielen Ländern nach geeigneten Patienten gesucht werden. Die großartigen Erfolge innovativer Behandlungsmöglichkeiten lohnen aber den Aufwand“, so Scheiflinger.
Keine Kostenexplosion bei seltenen Erkrankungen
Der Anteil der Arzneimittelkosten liegt seit Jahren stabil bei unter 13% der gesamten Gesundheitsausgaben. Der Salzburger Onkologe Univ.-Prof. Dr. Richard Greil sieht die Herausforderungen definitiv nicht in einer kolportierten Kostenexplosion durch Arzneimittel -diese finde nicht statt. Der Anteil der Ausgaben, die für Krebs insgesamt aufgewendet werden, lag 2016 in Europa bei sechs Prozent. Dieser Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben ist innerhalb von 20 Jahren konstant geblieben – und das obwohl rund 198 Krebserkrankungen als seltene Form gelten. Sie machen insgesamt 22% der Krebsfälle aus. Behandlungserfolge bei Tumorerkrankungen wie längeres Überleben, seien hauptsächlich auf medikamentöse Innovationen zurückzuführen, durch zunehmend zielgerichtete Therapien würden den Patienten wirkungslose und teure Behandlungen erspart.
Die Einrichtung von Innovationsbords, wie zum Beispiel jenes der steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft KAGES, sehen Univ.-Prof. Dr. Ruth Ladenstein von der St. Anna Kinderkrebsforschung und Michaela Weigl, Vorstandsmitglied bei Pro Rare Austria, kritisch. Sie weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verschreibung zugelassener innovativer Therapien, die mit der Zulassung bereits auf den Nutzen geprüft wurden, nicht verhindert werden dürften, weil manche Evidenz in der Kosten-Nutzen-Analyse fehle. Um dem entgegen zu wirken, arbeiten seit 2017 Europäische Referenznetzwerke für seltene Erkrankungen u.a. an der Schaffung von mehr Evidenz.
Ladenstein spricht sich dafür aus, den hohen Innovationsgeist in Forschung und Entwicklung nicht durch Verhandlungen darüber, ob ein Medikament „es wert“ ist, zunichte zu machen. Jahrelange Bemühungen und Aufwände für neue Therapien im Bereich seltener Erkrankungen die Lebensqualität verbessern und Heilung ermöglichen, dürfen nicht in der Endbahn aus Kostenüberlegungen verhindert und somit bedürftigen Patienten vorenthalten werden. Vielmehr gilt ihr Appell der gemeinsamen Entwicklung von Studiendesigns und innovativen Konzepten der Entwicklung und Finanzierung – unter Einbindung von Patienten, in Interaktion mit Netzwerken und Behörden –, um neue Behandlungsmöglichkeiten auch für kleine Patientengruppen weiterhin zu ermöglichen und so gemeinsam Evidenz pro futuro zu schaffen. Mit OKIDS, dem Forschungsnetzwerk für Kinderarzneimittel spielt man bereits im europäischen Konzert mit, um die klinische Forschung besser zu organisieren.
Auch mache die geringe Anzahl der zu behandelnden Patienten mit seltenen Erkrankungen aus Österreich sicher kein „Österarm“. Dazu Michaela Weigl: „Wenn nach langer Zeit eine Therapie gefunden ist, die Verbesserungen bringe, sind diese oft enorm – und zwar nicht nur auf medizinischer Seite. Die Verbesserung der Lebensqualität für Patienten als auch Angehörige bringt Selbständigkeit und Effektivität in den Alltag zurück.“
Andreas Huss, Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, spricht sich vehement für mehr Transparenz in der Preisgestaltung der Pharmaindustrie aus. Die Frage nach dem Nutzen bei innovativen Therapien und ihren tatsächlichen Kosten müsse in einem solidarisch finanzierten System offen diskutiert werden können.
Wenn sich die Gesellschaft mit der Mehrheit solidarisiert, so sei das wenig mutig, betont Pharmakologe Univ.-Prof. Dr. Ernst Agneter. Wenn sich hingegen eine Gesellschaft auch mit sehr wenigen, durch eine seltene Erkrankung betroffene Patienten solidarisiert, dann zeige sich, wie entwickelt eine Gesellschaft ist. Der Umgang mit Alten und Kranken sei immer ein Maßstab der sozialen Entwicklung. Agneter sieht es als eine Verpflichtung an, nicht nur in Nischenbereichen wie den seltenen Erkrankungen Entwicklung zu betreiben, sondern insgesamt als Aufgabe jedes einzelnen, sich an der Entwicklung der Gesellschaft zu beteiligen.
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(https://www.pharmig-academy.at/galerie/seminar/galerieshow/70/)
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