NGOs befürchten düstere Zeiten für Naturschutz in Österreich

Wien, am 17. Oktober 2018 (OTS) – Die Umweltschutzorganisationen Naturschutzbund (NÖ), Forum Wissenschaft und Umwelt, Riverwatch und WWF reagieren heute mit großer Besorgnis auf die jüngsten Angriffe der Regierungsparteien auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Parteistellung der NGOs in Umweltverfahren. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative “Lebendiger Kamp“ warnen sie im Rahmen einer Pressekonferenz vor weiteren Verschlechterungen zulasten der heimischen Naturschätze. Aktueller Anlassfall ist die Umweltverträglichkeitsprüfung zum EVN-Projekt für einen Abriss und Neubau des Kraftwerks Rosenburg im Natura 2000-Schutzgebiet Kamptal. Für sie ist das Verfahren, in dem das Land Niederösterreich derzeit die Umweltverträglichkeit des Projektes prüft, eine „Nagelprobe“ ob Umweltschutzgesetze noch ernst genommen werden. Das Projekt sei keinesfalls genehmigungsfähig.

Die NGOs fordern Umweltlandesrat und Landeshauptfrau Stv. Stephan Pernkopf (NÖ) und Umweltministerin Elisabeth Köstinger bei einer Pressekonferenz heute, Mittwoch, auf, ihre Jobs als führende Naturschützer endlich wahrzunehmen, den Anschlag auf das wertvolle Naturgebiet im Kamptal abzuwenden und sich um die Umsetzung der gesetzlichen Naturschutzvorgaben zu kümmern. Laut den Plänen der EVN soll der bestehende Stausee vergrößert und der Kamp über eine Strecke von 1,5 Kilometer ausgebaggert werden. Das Stauziel soll erhöht, die Restwassermenge reduziert werden. Eine Fläche von mehr als acht Fußballfeldern an wertvollem Auwald und Flusslandschaft drohen durch den Bau zerstört zu werden. Die Großbaustelle bringt massive Beeinträchtigungen für Ökologie und Erholung.

Margit Gross, Geschäftsführerin des Naturschutzbund NÖ, weist darauf hin, dass das Land Niederösterreich das mittlere Kamptal sowohl als Landschaftsschutzgebiet als auch als Europaschutzgebiet ausgewiesen hat und damit die Besonderheit dieser Landschaft und ihre herausragende ökologische Bedeutung bereits vor vielen Jahren erkannt hat. „Die EVN und ihre Gutachter behaupten nun, dass die massiven Eingriffe zur Errichtung eines neuen Kraftwerks keine erheblichen Beeinträchtigungen mit sich bringen werden.“ Der Kamp soll nach Errichtung der neuen Staumauer weit in eine wilde Schlucht hinein aufgestaut und unterhalb des Wehrs über eine Strecke von 1,5 Kilometer ausgebaggert werden. Sechs Hektar wertvoller Auwald- und Flusslandschaft würden durch den Bau unwiederbringlich zerstört werden. Dazu kommen die massiven Beeinträchtigungen für Ökologie und Erholungsnutzen durch die Großbaustelle. „Wir haben die zum Teil haarsträubenden Schlussfolgerungen der EVN Gutachter in Zusammenarbeit mit Experten aus dem universitären Bereich widerlegt. Nun liegt der Ball beim Land Niederösterreich. Eine Genehmigung für dieses Projekt würde auch einen bedenklichen Präzedenzfall für andere Schutzgebiete in ganz Österreich schaffen.“

„Der erweiterte Neubau des Kraftwerks Rosenburg ist ein massiver Natureingriff und wird den ökologischen Zustand der Flusstrecke weiter verschlechtern”, warnt Gerhard Egger, Leiter der Gewässerschutzabteilung des WWF Österreich. „Insgesamt ist geplant, dass ein Volumen von 37.000 Kubikmeter ausgehoben wird. Das entspricht dem Fassungsvermögen von mehr als zehn olympischen Schwimmbecken. Das ist ein dramatischer Eingriff in die Natur. Etwas Anderes zu behaupten ist schlichtweg absurd.“ Der Kamp leidet schon jetzt durch die intensive Wasserkraftnutzung: Es gibt 23 Anlagen, die den Fluss zerschneiden sowie Wasserführung und Temperaturverhältnisse verändern. „Der Kamp hat seine Schuldigkeit mehr als getan“, hält Gerhard Egger vom WWF fest. Der Fluss wurde von den Behörden vorauseilend als „stark verändert“ und damit nicht sanierbar eingestuft. „Die Politik hat den Kamp damit praktisch aufgegeben“, kritisiert Gerhard Egger. „Das widerspricht aus unserer Sicht klar dem Verbesserungsgebot der EU-Wasserrahmenrichtlinie, denn der Kamp hat gerade im Bereich Rosenburg großes Potential für Renaturierungen. Wasserkraftbetreiber dürfen die Belastungsgrenzen unserer Flüsse und Umwelt nicht weiter überschreiten. Wir brauchen intakte Gewässer, auch um die Folgen des Klimawandels zu dämpfen. Dazu bedarf es einer auf Naturverträglichkeit abgestimmten Energiestrategie anstelle von undurchdachten, ineffizienten Einzelmaßnahmen,“ so Egger.

Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch, kritisiert die in Österreich verbreitete „Salamitaktik gegen die Natur“. „Die Betreiber reden die Umweltauswirkungen ihrer Projekte stets klein. So aber gehen unsere letzten freien Flüsse nach und nach verloren. Wie soll man jemanden etwa am Balkan erklären, dass er die Natur nicht zerstören soll, wenn wir selbst die allerletzten naturnahen Oasen zerstören?“ Eichelmann befürwortet eine umfassende Renaturierung des Kamps bis zur Donau, um seine Durchgängigkeit für Fische und andere Lebewesen wiederherzustellen. „Das Kraftwerk Rosenburg ist für die Stromproduktion und die Klimabilanz des Landes völlig unbedeutend, da gibt es bessere Alternativen. Statt mehr Kraftwerke brauchen wir mehr Natur, aus meiner Sicht sollte das alte Wehr geöffnet werden und der Kamp wieder frei fließen.“

Clemens Feigel von der Bürgerinitiative Lebendiger Kamp wohnt im Kamptal und erinnert daran, dass das mittlere Kamptal bereits 1983 durch Proteste vor Staudammplänen bewahrt wurde: „Zwei Generationen später versucht es die EVN wieder.“ Feigel hebt hervor, dass ein wirtschaftlicher Betrieb des Kraftwerksneubaus, laut EVN-Angaben, nur durch Förderungen möglich ist, wobei die EVN alle Folgekosten und bereits manifesten Auswirkungen des Klimawandels im mittleren Waldviertel – wie Trockenheit und extrem geringe Wasserführung – einfach negiert. Feigel kritisiert außerdem, dass die gleichen Gutachter sowohl für die EVN als auch für das NÖ-Regionalprogramm zum Gewässerschutz tätig waren. „Der Kamp wurde völlig willkürlich erst oberhalb der von der EVN begehrten Flussstrecke als schutzwürdig eingestuft. Das ist eine glatte Manipulation.“ Für ihn und viele Menschen im Kamptal sind die Kraftwerkspläne ein Anschlag auf das wichtigste heimatliche Erholungsgebiet. „Wir werden für das Kamptal kämpfen. Es darf nicht jeder Flecken Restnatur auch noch verbaut werden. Landesrat Pernkopf muss endlich seinen Job machen,“ so Clemens Feigl.

Der Anwalt Dr. Josef Unterweger wurde vom „Forum Umwelt und Wissenschaft“ mit der Kamp-Causa betraut. Er hat die EVN-Unterlagen penibel durchgearbeitet und kommt aufgrund unvollständiger und teilweise widersprüchlicher Aussagen zu einem verheerenden Urteil:
„Das Projekt Rosenburg ist eines in einer Reihe von Vorhaben mit Relevanz für Natura 2000 Gebiete ohne energiewirtschaftlichen Nutzen, ohne ökonomische Sinnhaftigkeit und im krassen Gegensatz zu Naturschutzbestimmungen. Hier soll ein Kraftwerk durchgesetzt werden, das völlig sinnlos ist, bloß um zu zeigen, dass Widerstand zwecklos ist, wenn es um Naturschutz geht.“ Unterweger skizziert ein bedrückendes Bild von der Rechtslage im Bereich Naturschutz in Österreich: „In seinem Spruch zur 3. Piste hat der Verfassungsgerichtshof dem Bundesverwaltungsgericht de facto einen Maulkorb umgehängt und klargestellt: Klimaschutz – und ergo Naturschutz – ist nicht relevant. Und so agieren die Instanzen nun:
Umweltschutz ist kein Thema mehr. Zu den Regierungsinitiativen rund um das geplante Standort-Entwicklungsgesetz mit Aushebelung der Umweltverträglichkeitsprüfung und unter Ausschluss einer großen Zahl an NGOs aus der Parteistellung erklärt er: „Diese Gesetzesvorschläge sind handwerklich schlecht, teilweise rechtswidrig und inhaltlich inakzeptabel. Wenn das Standort-Entwicklungsgesetzes schon in Kraft wäre, würden am Kamp bereits die Bagger auffahren, weil die EVN länger als ein Jahr gebraucht hat, alle Unterlagen an die Behörde in St. Pölten zu schicken.“

NGOs und Bürgerinitiative werden alle rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Mittel ausschöpfen, um das mittlere Kamptal vor Schäden durch den Kraftwerksneubau zu bewahren. Sie fordern die Bundes- und Landespolitik eindringlich auf, rasch eine ökologische Kehrtwende einzuleiten und unsere Naturschätze nicht Investoreninteressen zu opfern.

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