Muchitsch/Todt: Offener Brief und Appell an ÖVP und FPÖ-Bundesräte 12-Stunden-Tag im Bundesrat aufzuhalten!

Wien (OTS/SK) – „Leider ist es im Nationalrat nicht gelungen, der Vernunft zum Sieg zu verhelfen und den 12-Stunden-Tag zu verhindern. Daher übermitteln wir Ihnen den Offenen Brief, der an alle Nationalratsabgeordneten gegangen ist, auch an Sie und appellieren, dass Sie von ihrem Einspruchsrecht im Bundesrat Gebrauch machen und diesen Anschlag auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen verhindern“, so SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch und Fraktionsführer der SPÖ-BundesrätInnen, Reinhard Todt, gemeinsam am Mittwoch gegenüber dem SPÖ-Pressedienst. Im Folgenden der offene Brief im Wortlaut: ****

„Sehr geschätzte Damen und Herren BunderätInnen!

Sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz, wie auch der neue Generalsekretär der WKÖ Karlheinz Kopf rufen zur Sachlichkeit in der Arbeitszeitdebatte auf. Ich habe mich bemüht, in der Nationalrats-Sondersitzung am letzten Freitag sachlich, offen und kritisch jene Punkte aufzuzeigen, wo es noch zu einer Abänderung in Ihrem Initiativantrag kommen soll.

Ich bin nicht gegen eine moderne Arbeitszeitflexibilisierung, aber es geht mir um klare Spielregeln zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Dabei ist stets auf eine Ausgewogenheit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu achten. Wichtig ist mir dabei, das gesamte Lebensumfeld aller Beteiligten zu betrachten. Von der Gesundheit, Freizeit, Familie und Kinderbetreuung bis hin zum Einkommen.

Ich möchte daher nachfolgend noch einmal jene Punkte aufzeigen, bei denen Änderungen nötig sind, mit dem Ersuchen und der Einladung, die bestehenden gesetzlichen Formulierungen zu überdenken.

• Ausweitung auf 12 Stunden täglich und 60 Stunden pro Woche: Mit dem vorliegenden Entwurf bleibt einzig die in der EU-Arbeitszeitrichtlinie angeführte Grenze von durchschnittlich 48 Stunden innerhalb von 17 Wochen als Schutzmechanismus bestehen. Das bedeutet die Einführung einer dauerhaften 48-Stunden-Woche mit wochenlangen Spitzenzeiten von 60 Stunden pro Woche. Auch Lehrlinge über 18 Jahre werden davon betroffen sein. Dazu kommt, dass sogar von SchwerarbeiterInnen dauerhaft 12-Stunden-Tage verlangt werden können. Diese sind mit höchsten gesundheitlichen Risiken verbunden. Außerdem erhöhen sich die tatsächlichen Einsatzzeiten bei PendlerInnen durch unbezahlte Pausen und An- und Abreise zum Arbeits-/Dienstort auf bis zu 15 Stunden pro Tag, im Tourismus auf Grund der Teildienstregelung sogar auf bis zu 18 Stunden.

• Ausweitung der höchstzulässigen Jahresarbeitszeit:
Bei erhöhtem Arbeitsbedarf darf nun die durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten. Wöchentlich sind nicht mehr als 20 Überstunden zulässig. Somit ist eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden zulässig. Die Tagesarbeitszeit darf künftig 12 Stunden nicht überschreiten. Nicht eingerechnet sind hier Pausen und Fahrtzeiten von und zur Arbeit. Das bedeutet, dass bisher bis zu 320 Überstunden pro Jahr zulässig waren (52 x 5 + 60). Hinkünftig erhöht sich diese Zahl auf 416 (52 x 8, da im Durchschnitt 48 Stunden zulässig). Das widerlegt somit auch die Behauptung, dass „niemand mehr arbeiten muss.“

• Bestehende Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen: Schon jetzt ist es über kollektivvertragliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen möglich, bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes die Arbeitszeit zu erhöhen. Mit den derzeit geltenden Regelungen ist es noch nie dazu gekommen, dass ein Auftrag nicht hätte abgearbeitet werden können. Sowohl auf KV-, wie auch auf Betriebsebene kam es zu sozialpartnerschaftlichen Lösungen. Dennoch wird nun massiv in dieses ArbeitnehmerInnenrecht eingegriffen. Betriebsvereinbarungen und arbeitsmedizinische Überprüfungen werden nicht mehr möglich sein. Damit kommt es zu Kürzungen von Zuschlägen, zu gesundheitlichen Risiken und es gibt keine Mitbestimmung der ArbeitnehmervertreterInnen. Bestehende Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträge, in denen die Mitbestimmung bei Arbeitszeit, Zuschlägen und Zeitverbrauch geregelt sind, werden in Zukunft nicht mehr möglich sein. Mit der Streichung des § 7 Abs. 4 im Arbeitszeitgesetz sind Betriebsvereinbarungen für den 12-Stunden-Tag nicht mehr möglich. Hier wird per Gesetz der Schutz für ArbeitnehmerInnen durch die Betriebsräte im Betrieb und durch die KV-Partner abgeschafft. In bisherigen Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen wurden die Zuschläge, der Freizeitverbrauch und der Zeitraum geregelt. Dies in der Praxis immer zu für die jeweilige Branche besseren Bedingungen, als es nun im Gesetz von Ihnen vorgeschlagen wird.

• ‚Freiwilligkeitsgarantie‘:
In der Praxis gibt es keine Freiwilligkeit für ArbeitnehmerInnen, zusätzliche Überstunden abzulehnen. Ebenso wenig gibt es die freie Entscheidung, geleistete Überstunden abzubauen, wenn der Arbeitnehmer dies möchte. Darüber hinaus sind auch „freiwillig“ geleistete überlange Arbeitszeiten auf Dauer gesundheitsschädlich. Das Arbeitszeitgesetz wurde bisher nicht umsonst auch als ArbeitnehmerInnenschutzgesetz gewertet.

• Übertragung von Zeitguthaben/mehrere Durchrechnungszeiträume: Der Gesetzesvorschlag sieht nicht vor, wie lange Zeitguthaben mitgenommen werden können. Das bedeutet, dass die Zeitguthaben nicht am Ende des Durchrechnungszeitraumes ausbezahlt werden müssen. Die Regelung sieht auch keine Möglichkeit für den/die Beschäftigte/n vor, ein erarbeitetes Zeitguthaben nach eigenen Bedürfnissen einseitig zu konsumieren.

• Gleitzeit:
Bei „freiwilligen“ Überstunden (ohne Anordnung des Arbeitgebers) – und diese werden die Praxis sein – fallen bei Gleitzeitvereinbarungen die Überstundenzuschläge für die elfte und zwölfte Stunde weg. Darüber hinaus sieht der Entwurf keinerlei Rechte auf einseitigen Verbrauch ganzer Zeitausgleichstage oder Freizeitblöcke durch den/die ArbeitnehmerIn vor.

• Verkürzung der Ruhezeit in der Gastronomie:
Auch im Tourismus gab es bisher – aber mit Kollektivvertrag zum Schutz der ArbeitnehmerInnen – schon die Möglichkeit, die Ruhezeit in Saisonbetrieben zu verkürzen und Zeitguthaben anzusparen. Nun soll dies generell möglich werden. Gerade in einer auch körperlich anstrengenden Branche ist eine derartige Verkürzung der Ruhezeiten in Verbindung mit der Erhöhung auf 12 Stunden, Teildiensten und dem täglichen Pendeln von und zur Arbeit eine massive Verschlechterung für die Beschäftigten.

• Möglichkeit der Arbeit an vier Sonn- und Feiertagen: Diese Ausnahmeregelung soll nicht pro Betrieb, sondern pro Beschäftigtem/r gelten. Somit ist es bei einer entsprechenden Belegschaftsgröße möglich, das ganze Jahr über durchgehend den Betrieb an Sonn- und Feiertagen offen zu halten.

• Leitende Angestellte:
Die bisher geltenden Ausnahmeregelungen für leitende Angestellte sollen nun deutlich ausgeweitet werden. Nunmehr soll bei bestimmten Voraussetzungen auch die 3. Führungsebene einbezogen werden. Dies stellt in jedem Fall eine deutliche Ausweitung der vom gesamten Arbeitszeitrecht ausgenommenen Personen dar, gerade auch, weil die Bestimmung unkonkret bleibt und damit eine Rechtsunsicherheit auslöst. Dies wird zu Streitfällen führen, welche vor dem Arbeits-und Sozialgericht landen werden.

Wenn Ihnen die arbeitenden Menschen und ihre Familien wichtig sind, nehmen Sie diesen Initiativantrag zurück. Weisen Sie Ihre Gesetzesvorlage dem Sozialausschuss zu. Ich garantiere Ihnen, dass noch zum Sommerstart eine Sozialausschuss-Sitzung zustande kommt, mit dem Auftrag, eine Begutachtung von 6 Wochen bis Ende August/Anfang September für dieses so wichtige Gesetz zu ermöglichen. Als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales erkläre ich mich bereit, Ende August / Anfang September in Absprache mit der Parlamentsdirektion und allen Parteien eine Sondersitzung des Sozialausschusses einzuberufen, damit ein neues, gerechtes und faires Arbeitszeitgesetz in der ersten Herbstsitzung des Nationalrates beschlossen werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

Abg.z.NR Josef Muchitsch, Bundesrat Reinhard Todt

(Schluss) up/sl/mp

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