Wien (PK) – Das Selbstbestimmungsrecht der EU-Mitgliedstaaten war heute eines der zentralen Themen im EU-Unterausschuss mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. Als Debattengrundlage hatten die Abgeordneten zwei Legislativvorschläge der Europäischen Kommission gewählt, in denen das Subsidiaritätsprinzip aus österreichischer Sicht eine bedeutende Rolle spielt: Trinkwasser und Sozialleistungen. Zur Absicherung der Wasserqualität will die Kommission den Trinkwasserversorgern verstärkte Kontrollen vorschreiben, hinsichtlich der Koordinierung von Sozialleistungen faire Regelungen bei der Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen im Binnenmarkt schaffen.
Beim Entwurf der Trinkwasser-Richtlinie bestand im Ausschuss Konsens über den hohen Stellenwert von Wasser. ÖVP und FPÖ bezeichneten den Kommissionsvorschlag jedoch als überschießend, denn auf die kleinen Wasserversorger Österreichs und die KonsumentInnen kämen dadurch finanzielle Mehrbelastungen zu. Der EU-Ausschuss des Bundesrats hat bereits mit einer Subsidiaritätsrüge an Brüssel auf die Trinkwasser-Richtlinie reagiert (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 257/2018). SPÖ, NEOS und Liste Pilz wiederum sehen im Kommissionsvorschlag wichtige Ansätze im Sinne der Versorgungssicherheit.
Übereinstimmend abgelehnt wurde von Volkspartei und SozialdemokratInnen eine längere Frist zum Export von Arbeitslosengeld, wie sie in der Verordnung zur EU-weiten Koordinierung der Sozialsysteme aufscheint. Dissens gab es hingegen bei den Neuerungen für Familienleistungen. Während die Regierungsfraktionen eine Indexierung dieser Leistungen in der EU durchsetzen wollen, warnt die Opposition mit Hinweis auf den Bedarf im Pflegebereich geschlossen vor einem Alleingang Österreichs. Bundesministerin Hartinger-Klein sagte, es gebe keinen Hinweis, dass bei einer Indexierung der Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland weniger Pflegekräfte aus Osteuropa hierzulande arbeiten werden. Grundsätzlich würden bei dieser Neugestaltung der Sozialleistung, die auf die Lebenserhaltungskosten im jeweiligen Land abstellt, alle Kinder gleich behandelt.
Wasserqualität: Kritik an mehr Kontrollen
Zum Kommissionsvorschlag für eine Anpassung der geltenden Trinkwasser-Richtlinie meinte Ministerin Hartinger-Klein, die Überarbeitung sei überschießend und bringe Nachteile für Österreich. Die angedachte Erhöhung der Kontrolldichte von Wasserqualität und Anlagen führe zu einer unverhältnismäßigen Kostensteigerung, sowohl für die rund 4.500 heimischen Wasserversorger, als auch bei den Gebühren. Österreich verfüge auf Grundlage von Lebensmittelsicherheitsrecht und Verbraucherschutz jetzt schon über ein sehr starkes Prüfsystem mit regelmäßigen Kontrollen durch eigene Aufsichtsbehörden. „In Österreich wird alles getan, um die Qualität zu gewährleisten“, betonte Hartinger-Klein, und folgerte, überbordende Kontrollen seien abzulehnen. Genauso sieht das Norbert Sieber (ÖVP): Die bestehende Richtlinie erfülle bereits ihren Zweck, nämlich den Schutz vor verunreinigtem Trinkwasser sicherzustellen. Eine Überprüfung von Trinkwasseranlagen im 15-Minuten-Takt schieße über das Ziel hinaus und belaste massiv die zahlreichen dezentralen Wasserversorger Österreichs.
SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder findet den Richtlinienvorschlag dagegen durchaus unterstützenswert, zumal der Entwurf wesentliche Forderungen der europäischen Wasser-BürgerInitiative enthalte. Wasser sei demnach als öffentliches Gut und nicht als Handelsware zu betrachten, die Versorgung müsse sichergestellt werden. Trotz der guten Wasserqualität in Österreich gebe es auch hierzulande Fälle von Kontaminierung und Versorgungsengpässen, etwa im Raum Graz, stellte Schieder fest. Gerald Loacker (NEOS) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) wollten die Kritik am Entwurf ebenfalls nicht gänzlich mittragen. Loacker wies in diesem Zusammenhang auf die Problematik von Bleileitungen zur Wasserversorgung in österreichischen Altbauten hin.
Bei der vorgeschlagenen Trinkwasser-Richtlinie geht es grundsätzlich um das allgemeine Recht auf Zugang zu sauberem, gesundem Wasser. Neue Impulse erhielt die 1998 entstandene und zuletzt 2015 geänderte Teilregelung des Bereichs Daseinsvorsorge durch die erste erfolgreiche Europäischen Bürgerinitiative namens „Right2Water“. Zur Qualitätssicherung sind im Richtlinienentwurf auch Regelungen zur Gefahren- bzw. Risikobewertung in Gewässern und Hausinstallationen verankert. Mit neuen Überwachungsprogrammen will die EU-Kommission die Wasserqualität sicherstellen.
Besonders für schutzbedürftige und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen soll von den Mitgliedsstaaten der Zugang zu hochwertigem Trinkwasser verbessert werden. Die vermehrte Einrichtung von Trinkwasseranlagen in öffentlichen Bereichen bilde dazu eine bedeutende Maßnahme, so die EU-Kommission. Sicherzustellen wäre außerdem, dass die Wasserversorgungsunternehmen den BürgerInnen genauere Informationen über den Wasserverbrauch, die Kostenstruktur sowie über den Preis pro Liter bereitstellen, der mit dem Preis für Flaschenwasser verglichen werden kann. Neben einer deutlichen Kostenersparnis für KonsumentInnen, die qualitativ hochwertiges Wasser aus der Leitung statt aus der Flasche trinken, erwartet Brüssel von dem Vorstoß auch einen Beitrag zur EU-Kunststoffstrategie 2018 gegen Plastikabfall.
Mobilitätspaket: Soziale Absicherung im Binnenmarkt am Prüfstand
Das Mobilitätspaket der EU durchleuchtete der Ausschuss in weiterer Folge auf soziale Auswirkungen. Neben dem freien Warenverkehr ist die Mobilität von ArbeitnehmerInnen ein bedeutender Bestandteil des EU-Binnenmarkts. 2016 schlug die Europäische Kommission als Teil des Gesetzespakets „Mobilität der Arbeitskräfte“ eine neue Verordnung zur Koordinierung der nationalstaatlichen Sozialsysteme vor. Ziel dabei ist, die europarechtlich verankerte Grundfreiheit der Freizügigkeit im Binnenmarkt in Hinblick auf die soziale Sicherheit von EU-BürgerInnen zu stärken. Zwar unterliegt der Kommissionsvorschlag dem Subsidiaritätsprinzip, da Sozialmaterien nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen. Doch kann aus Sicht der Kommission kein Mitgliedstaat die grenzüberschreitende Koordinierung von Sozialleistungen eigenständig bewerkstelligen.
Generell begrüße sie den Verordnungsvorschlag, befand Hartinger-Klein, weil er mehr Klarheit schaffe und mithelfe, Sozialdumping zu verhindern. Einzufügen wäre ihr zufolge allerdings auch eine Indexierung der Familienbeihilfe, wie Österreich sie auf nationaler Ebene vorhat. Ablehnend zeigte sich die Ministerin zu Überlegungen der Kommission, für arbeitslose EU-AusländerInnen ab einem Versicherungszeitraum von 12 Monaten sowie für GrenzgängerInnen die Zuständigkeit dem Beschäftigungs- und nicht dem Herkunftsstaat zu übertragen. Nicht in Frage komme für Österreich außerdem der Vorschlag, Arbeitslosengeld für sechs anstatt der geltenden drei Monate ins EU-Ausland mitnehmen zu können.
Große Vorbehalte zur vorgeschlagenen Neuregelung der Arbeitslosenversicherung äußerten im Ausschuss auch die Abgeordneten Maria Theresia Niss (ÖVP) und Josef Muchitsch (SPÖ). Eine Verlängerung des Leistungsexports werten sie schon deshalb kritisch, weil die auszahlenden Stellen – in Österreich das Arbeitsmarktservice (AMS) – bei BezieherInnen in einem anderen EU-Staat weniger leicht einen neuen Arbeitsplatz vermitteln beziehungsweise den Arbeitswillen kontrollieren könnten. Anders beurteilen das die NEOS. Deren Sozialsprecher Gerald Loacker wandte ein, gesamtwirtschaftlich gesehen erhöhe diese Vorgehensweise die Effizienz der Arbeitsplatzvermittlung, da im Binnenmarkt ein größeres Angebot herrsche. Im Einklang mit Robert Laimer (SPÖ) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) sprach sich Loacker zudem gegen Österreichs Position bei der Familienbeihilfe aus, die auf wenig Gegenliebe bei den übrigen EU-Ländern stoße.
Laimer vermutete, bei einer Indexierung der Familienleistungen würden osteuropäische Arbeitskräfte in Österreich ihre Kinder aus dem Herkunftsland mitnehmen, wodurch die Republik erneut Mehrbelastungen zu tragen hätte. Holzinger-Vogtenhuber erinnerte an den Nichtdiskriminierungsgrundsatz in der EU und sieht im Falle eines österreichischen Alleingangs eine Staatshaftungsklage drohen. Überdies prophezeite sie eine verschärfte Versorgungslage im Pflegebereich, wenn Betreuungskräfte aus anderen EU-Ländern bei geminderten Familienleistungen daheim bleiben. Ministerin Hartinger-Klein widersprach, keineswegs würden künftig weniger Kräfte aus dem EU-Ausland zur Verfügung stehen, auch nicht bei der 24-Stunden-Betreuung. Die Idee einer Anpassung der Familienleistungen an die Lebenserhaltungskosten im Herkunftsland eines EU-Bürgers oder einer EU-Bürgerin sei auf EU-Ebene schon behandelt worden, als man den Austritt des Vereinigten Königreichs abwenden wollte. Insgesamt zeigte sich Hartinger-Klein zuversichtlich, falls Österreich die Indexierung vor dem Europäischen Gerichtshof zu argumentieren hat, werde das Land in seiner Haltung bestätigt.
Petra Wagner (FPÖ) hinterfragte überhaupt die Notwendigkeit einer Änderung im EU-Rechtsbestand zur sozialen Sicherung und unterstrich, die Sozialstandards für ÖsterreicherInnen müssten erhalten bleiben.
Faires Regelwerk für Sozialleistungen
Als wichtigsten Antriebsfaktor für die Initiative nennt die Kommission die Schaffung eines modernen Regelwerks, in dem sich „die soziale und ökonomische Realität in den Mitgliedstaaten widerspiegelt“. Festgehalten wird im Vorschlag allerdings, dass eine faire und ausgewogene Verteilung der finanziellen Belastung unter den Mitgliedstaaten gewährleistet werden muss. Die Überprüfung des Sozialversicherungsstatus von Arbeitskräften sei zu optimieren, um potenziellem Missbrauch vorzubeugen. Zu erheben wäre demnach auch, unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten den Zugang nicht erwerbstätiger mobiler EU-BürgerInnen zu Sozialleistungen beschränken können, ohne gegen den Nichtdiskriminierungsgrundsatz zu verstoßen.
Jeder Mitgliedstaat solle weiterhin eigenständig über die Ausgestaltung und Gewährung von Sozialleistungen entscheiden, betont die EU-Kommission im Vorschlag, solange das EU-Recht in Hinblick auf Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung eingehalten wird. Dabei geht es um die Anspruchskriterien und die Berechnung der Leistungen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang ein funktionierender Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Konkret propagiert die Kommission ein kohärentes System zur Koordinierung der Leistungen für nicht erwerbstätige EU-BürgerInnen, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, sowie bei Leistungen für Pflege, Kinderbetreuung und Arbeitslosigkeit in grenzüberschreitenden Fällen. Der mögliche Export von Arbeitslosenleistungen und die Frage, welcher Mitgliedstaat Arbeitslosengeld an GrenzgängerInnen zu zahlen hat, habe zu Unstimmigkeiten unter den EU-Ländern im Rat geführt, berichtet die EU-Kommission. Die gangbarsten Möglichkeiten für eine Übereinkunft präsentierte sie im vorliegenden Legislativvorschlag.
In diesem Verordnungsentwurf ist nun eine Änderung des Gleichbehandlungsprinzips vorgesehen, die eine Streichung von versicherungsunabhängigen Leistungen an nicht erwerbstätige mobile EU-BürgerInnen ermöglicht. Bezüglich Arbeitslosenleistungen schlägt die Kommission vor, einen Mindestversicherungszeitraum von drei Monaten im Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit vorzusehen, damit eine Anrechnung früherer Versicherungszeiten beansprucht werden kann. Sofern ein arbeitsloser Grenzgänger/eine Grenzgängerin mindestens 12 Versicherungsmonate erworben hat, soll der letzte Beschäftigungsstaat – und nicht mehr der Wohnstaat – zuständig sein. Weiters würde der Mindestzeitraum für den Export von Arbeitslosenleistungen von drei auf sechs Monate verlängert, mit der Möglichkeit, die Leistung für die gesamte Anspruchszeit zu exportieren. Nach Dafürhalten der Kommission entstünden den Mitgliedstaaten dadurch keine Zusatzkosten, vielmehr erleichtere diese Option den Betroffenen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
Familienleistungen will die EU-Kommission künftig ausschließlich an jenen Elternteil gezahlt sehen, der in dem auszahlenden Mitgliedstaat gearbeitet hat oder wohnt, und nicht länger auch an den anderen Elternteil. (Schluss EU-Unterausschuss) rei
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