Parlament feiert 70 Jahre Staatsvertrag
„Heute ist der Tag gekommen, an dem wir den Vertrag unterzeichneten, womit Österreich seine Freiheit und Unabhängigkeit bekommt“, tönte die Stimme von Leopold Figl durch den Bundesversammlungssaal im Parlament. Zu hören war eine Radioübertragung vom 15. Mai 1955 mit der Dankesrede des damaligen Außenministers unmittelbar nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags. Der Anlass: der Festakt anlässlich des 70-jährigen Jubiläums dieses Meilensteins der österreichischen Geschichte.
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, Zweiter Nationalratspräsident Peter Haubner und Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures erinnerten in ihren Eröffnungsworten an den langen Weg zum Staatsvertrag und die Leistung der damaligen Politiker. Der ehemalige Bundespräsident und Nationalratspräsident Heinz Fischer und der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol schilderten im Gespräch mit Moderatorin Susanne Höggerl (ORF) ihre persönlichen Erinnerungen an den Mai 1955.
Nationalratspräsidium über historischen Meilenstein und Auftrag für die Zukunft
Der Staatsvertrag, „jenes Dokument mit den feuerroten Siegeln und den Unterschriften auf den letzten Seiten“ sei jedem Österreicher und jeder Österreicherin im Gedächtnis präsent, sagte Nationalratspräsident Walter Rosenkranz. Dem Vertrag seien immense Anstrengungen über zehn Jahre lang vorausgegangen, erinnerte Rosenkranz an die bedeutenden Schritte und Problemstellungen auf dem Weg zu Österreichs Freiheit. „Ich verneige mich heute mit großem Respekt vor der Leistung und dem diplomatischen Geschick der großen Staatsmänner dieser Jahre“, sagte der Nationalratspräsident. Ihnen sei es gelungen, Österreichs Position im Herzen Europas zum Wohl seiner Menschen zu festigen. Das Vermächtnis fordere uns auf, den Staatsvertrag auch heute noch mit Leben zu erfüllen, so Rosenkranz.
Zweiter Nationalratspräsident Peter Haubner erinnerte neben den Verhandlungen mit den Alliierten auch an die lange parlamentarische Reise zum Staatsvertrag. Das Parlament hatte sich über neun Jahre und drei Gesetzgebungsperioden lang mit der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs beschäftigt. Beharrlichkeit, Dialog und der feste Wille zur Unabhängigkeit hätten am Ende zum Erfolg geführt, so Haubner. Der Staatsvertrag sei aber nicht nur ein juristisches Dokument. Er sei ein lebendiger Auftrag. „Freiheit, Demokratie und Neutralität sind nicht selbstverständlich“, sagte Haubner. Diese Werte müssten im Parlament tagtäglich gelebt, verteidigt und weiterentwickelt werden.
Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures sprach von einer „Meisterleistung der damaligen politischen Führung“. Österreich habe mit seiner souveränen Entscheidung zur immerwährenden Neutralität die Positionierung zwischen den Blöcken des Kalten Krieges geschafft. Die Entscheidung habe keine weltanschauliche Neutralität bedeutet, sondern das Land zu einer Drehscheibe aktiver Friedenspolitik werden lassen. „Gerade heute im Angesicht schrecklicher Konflikte wäre es ein lohnendes Ziel, genau diese Tradition wieder aufleben zu lassen“, sagte Bures. Österreich sei es seit 1955 gelungen, sich als freie Republik und Ort von Stabilität, Sicherheit und Wohlstand einen respektablen Platz in der Völkergemeinschaft zu erarbeiten, so die Dritte Nationalratspräsidentin.
Heinz Fischer und Andreas Khol teilen persönliche Erinnerungen
Als der Staatsvertrag unterzeichnet wurde, war der ehemalige Bundespräsident und Nationalratspräsident Heinz Fischer 16 Jahre alt. Er sei am 15. Mai 1955 zum Schloss Belvedere geradelt und habe „mit sehr guten Gefühlen in die Pedale getreten“, schilderte er. Bereits als Jugendlicher sei er – Sohn des damaligen Staatssekretärs im Handelsministerium Rudolf Fischer – sehr interessiert an Politik gewesen und habe daher starke Erinnerungen an die Zeit, so Fischer.
Als Gymnasiast in Tirol hat der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol die Zeit der Besatzung anders erlebt. Er habe im glücklichen Teil Österreichs gelebt, der von den Franzosen besetzt war, so Khol. Dennoch sei die Unterzeichnung des Staatsvertrags für ihn ein „unglaubliches Glücksgefühl“ gewesen. Als persönlichen Freiheitsmoment schilderte er den ersten Kauf einer Semmel in der Bäckerei ohne Lebensmittelkarte. „Da habe ich gewusst, jetzt hat sich wirklich viel geändert“, sagte Khol.
Für Khol habe die damalige Politik ausgezeichnet, dass sie auf Einigkeit und Zusammenhalt gesetzt hat. Fischer wiederum erinnerte daran, dass es auch in der österreichischen Innenpolitik der Nachkriegszeit harte Auseinandersetzungen gegeben habe. Aber: „Wenn die Bevölkerung eines Staats ein gemeinsames Ziel hat, kann sie unglaubliches erreichen“, so Fischer.
Mit Blick auf die Zukunft und die nächste Generation zeigten sich beide optimistisch. Man dürfe die Lernbegierde und die Werteverankerung der Jugend nicht unterschätzen, sagte Khol. Fischer bezeichnete die Demokratie als „starken Baum“, der mit vielen Gefahren und Anforderungen fertig werde.
Der Staatsvertrag als immersives Erlebnis
Nicht nur der heutige Festakt, auch eine multimediale Installation im Oberen Vestibül des Parlaments erinnert aktuell an die Unterzeichnung des Staatsvertrages vor 70 Jahren. Die Konstruktion, bestehend aus vier ineinander versetzten Rahmen, nimmt die Form einer begehbaren Vitrine an. Besucher:innen erhalten einen lebendigen Einblick in die Geschichte, unterstützt durch Videoaufnahmen und 3D-animierte Elemente. Zu sehen ist die Installation voraussichtlich bis Ende Juni 2025. (Fortsetzung Festakt) kar
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.
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