Parlament: Expert:innen sehen Handlungsbedarf bei der Querschnittsmaterie des demografischen Wandels
Wien (PK)- Der demografische Wandel müsse nicht bloß gemessen, sondern gestaltet werden, hielt Nationalratspräsident Walter Rosenkranz Dienstagabend im Rahmen der Veranstaltung „Demografischer Wandel in Österreich – Analyse, Herausforderungen, Antworten“ im Parlament fest. Es handle sich um ein Metathema, das alle Politikbereiche betreffe.
Danach folgten Impulsvorträge von der Nationalratsabgeordneten und Sonderbeauftragten für demografischen Wandel der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Gudrun Kugler, dem Leiter des Instituts für Angewandte Demographie Berlin Harald Michel und dem britischen Datenwissenschafter und Demografen Stephen Shaw. Sie zeigten Problemstellungen und Lösungsansätze ebenso auf wie die Expert:innen im anschließenden Podiumsgespräch. Über „Auswege aus der Krise“ diskutierten dabei Regina Fuchs (Statistik Austria), Ingrid Korosec (Österreichischer Seniorenbund) und Edwin Schäffer (Österreichischer Integrationsfonds). Abschlussworte kamen von Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler, die sich ebenfalls für eine umfassende Auseinandersetzung zu dieser Querschnittsmaterie aussprach.
Rosenkranz: Metathema, das alle Politikbereiche berührt
Der demografische Wandel erfolge „leise und unausweichlich“ und verändere Österreich nachhaltig, unterstrich Nationalratspräsident Walter Rosenkranz in seinen einleitenden Worten. Es handle sich um ein Metathema, das alle Politikbereiche direkt oder indirekt berühre. Der Wandel müsse nicht bloß gemessen, sondern gestaltet werden. So gehe es etwa darum, dass der Staat Familien durch Steuererleichterungen oder durch die Schaffung von Wohnraum fördere oder das Altern als Wert und nicht als Verwaltungsproblem anerkenne. Der Generationenvertrag lebe davon, dass jede Generation bereit sei, Verantwortung zu übernehmen, so Rosenkranz. Im Bereich der Infrastrukturpolitik sprach sich der Nationalratspräsident für eine Stärkung der intensiv von der Bevölkerungsentwicklung betroffenen ländlichen Regionen aus.
Kugler: Vielfältige Herausforderungen durch demografischen Wandel
Ausschlaggebend für den „seit Jahrzehnten weggeschobenen“ demografischen Wandel in Europa seien eine gestiegene Lebenserwartung, eine niedrige Geburtenrate sowie Migrationsbewegungen in die EU, betonte ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler in ihrem Impulsvortrag. Diese Entwicklung würde vielfältige Herausforderungen mit sich bringen. Zur Lösung der „demografischen Krise“ braucht es für Kugler deshalb mehr Forschung und die Betrachtung als Querschnittsmaterie sowie Maßnahmen am Arbeitsmarkt und die Sicherung der Pensions- und Sozialsysteme sowie der Gesundheitssysteme durch Reformen, was etwa altersgerechtes längeres Arbeiten und die Attraktivierung der Pflegeberufe beinhalte. Zudem gehe es um aktives Altern und den Kampf gegen die Einsamkeit, die Begleitung des Entvölkerungsprozesses in betroffenen Gebieten sowie um die Erhöhung der Geburtenrate und die Verringerung der ungeplanten Kinderlosigkeit durch stärkere Anerkennung des Kinderhabens in Kultur und Gesellschaft.
Michel: Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen
Der seit längerer Zeit bestehende Prozess des demografischen Wandels löse eine lange andauernde Phase der Bevölkerungsexpansion in Europa ab, hielt Harald Michel vom IFAD Berlin in einem historischen Abriss des Themas fest. Es gebe keine fertigen und erprobten Rezepte, wie man angemessen auf diese Entwicklung reagieren sollte. Die Hauptauswirkungen des demografischen Wandels – Schrumpfung und Alterung auf der einen Seite und zunehmende Konzentration und Internationalisierung, verbunden mit einer zunehmenden Bedeutung der Integrationsproblematik, auf der anderen Seite – würden zudem räumlich differenziert stattfinden. Dies bedeute ein Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen. Für Michel erfordert die Komplexität der demografischen Veränderungen daher ebenfalls umfassende und intelligente Anpassungsstrategien, die alle Handlungsfelder im Rahmen einer Querschnittspolitik angemessen berücksichtigen sollten.
Shaw: Junge Menschen bei ihrem Kinderwunsch unterstützen
Es sei keine Gesellschaft in der Geschichte bekannt, die es geschafft habe, ihre gesunkene Geburtenrate wieder zu steigern, erklärte der britische Datenwissenschafter und Demograf Stephen Shaw. Der Mitbegründer der Organisation „XY Worldwide“, die die Auswirkungen des Geburtenrückgangs bekämpfen will, betonte aber auch, dass dieser „birth gap“ eine „Frage des Überlebens“ für Nationen sei. Die Alterung der Gesellschaft betreffe viele Regionen in der Welt, auch welche mit Überpopulation wie Indien. Man müsse daher junge Menschen unterstützen, dass sie ihren Kinderwunsch zu dem für sie besten Zeitpunkt erfüllen können, forderte er. Immerhin hätten 90 % der Frauen im gebärfähigen Alter entweder bereits Kinder oder einen entsprechenden Wunsch danach.
Podiumsgespräch zu Auswegen aus der Krise
Eine in den letzten Jahren gestiegene Lebenserwartung, eine zurückgegangene Fertilität und ein Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung attestierte die Leiterin der Direktion Bevölkerung und des Center Wissenschaft der Statistik Austria Regina Fuchs Österreich in dem Podiumsgespräch. Zur Änderung der demografischen Entwicklungen brauche es umfassende Maßnahmen, betonte die Expertin. So müsse es etwa aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung geschafft werden, Menschen länger und gesund im Arbeitsmarkt zu halten. Gegen eine Anhebung des Pensionsantrittsalters zum jetzigen Zeitpunkt sprach sich Ingrid Korosec, Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes, aus und forderte ebenfalls Maßnahmen, dass mehr Menschen das aktuell geltende Antrittsalter erreichen. Sie bemängelte, dass die Menschen krank in Pension gehen würden. Dies sei eine Folge der „Reparaturmedizin“ und der ihrer Meinung nach nicht ausreichenden Gesundheitsprävention in Österreich.
Zuwanderung sei mit Chancen und Herausforderungen verbunden, meinte Edwin Schäffer, Leiter des Büros für Grundsatzangelegenheiten des Österreichischen Integrationsfonds. So würden sich viele Zuwanderer:innen zwar gut integrieren, die Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft sei aber eine Herausforderung. Die Frage, wie gut diese Menschen in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert werden können, sei wichtiger als jene ihrer Herkunft, meinte auch Regina Fuchs. Reformbedarf sah Schäffer auch angesichts der Zahlen zu Deutschkenntnissen von Volksschüler:innen und sprach sich für einen Ausbau der Elementarpädagogik und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr aus. Schäffer zitierte auch Umfragen, wonach viele Bürger:innen Parallelgesellschaften und eine Verschlechterung des gesellschaftlichen Zusammenhalts orten würden.
Die Pflege sei jahrzehntelang nicht genügend wert geschätzt worden, bemängelte Ingrid Korosec und befürwortete Maßnahmen, damit sich mehr junge Menschen für dieses Berufsfeld interessieren. Edwin Schäffer berichteten über das Angebot seitens Österreich für ausländische Pflegekräfte. So habe sich viel bei der Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen getan, es gebe aber weiteres Potenzial zur Nachschärfung.
Eder-Gitschthaler: Umfassende Auseinandersetzung mit demografischem Wandel notwendig
Der demografische Wandel sei eine der prägendsten und komplexesten Entwicklungen unserer Gesellschaft und betreffe als Querschnittsmaterie nahezu alle Gesellschaftsbereiche, erklärte Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler in ihren Abschlussworten. Im Sinne der Zukunft des Landes sei es wichtig, sich mit diesem Wandel umfassend auseinanderzusetzen und auszutauschen. Der Bundesrat habe sich als „Zukunftskammer“ diesen Fragen bereits in mehreren Initiativen gewidmet. So werde es auch am 4. Juni ein Expertenforum zur Zukunft des Pensionssystems geben. (Schluss) med/pst
HINWEIS: Fotos von der Diskussionsveranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments .
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