80 70 30 Richtungsentscheidung EU-Beitritt
Österreich tritt 1995 gemeinsam mit Finnland und Schweden der Europäischen Union bei. Norwegen lehnt 1994 in einer Volksabstimmung einen EU-Beitritt ab und geht einen anderen Weg. Was waren die Beweggründe und Entwicklungen der übrigen Beitrittskandidatenländer von 1994 (Schweden, Finnland, Norwegen) hinsichtlich der europäischen Integration? Wie ist die Stimmung gegenüber der EU in diesen Ländern 30 Jahre später, in Zeiten wachsender Unsicherheiten – nicht zuletzt am Weltmarkt?
Schweden: Wachsende Zustimmung
Vom Friedensprojekt zum gemeinsamen Markt, betitelt die schwedische Regierung ihre Beschreibung der EU-Geschichte. Das positive Verständnis der europäischen Integration in politischen Kreisen setzte sich allerdings erst langsam in der schwedischen Bevölkerung durch. Während mit Linkspartei und Grünen lediglich zwei der sieben 1994 im schwedischen Parlament vertretenen Parteien gegen eine Mitgliedschaft im Vorläufer der EU, der Europäischen Gemeinschaft, waren, zeigte sich die Zustimmung in der Bevölkerung mit 52,3 % deutlich niedriger als in Österreich (66,6 %). Doch ergab die Eurobarometer-Untersuchung 2024, dass inzwischen 81 % Prozent der Schwedinnen und Schweden die bestehende EU-Mitgliedschaft ihres Landes befürworten. Als bedeutendste Gründe werden das gemeinsame Vorgehen gegen den Klimawandel, der Kampf gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen sowie der Erhalt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genannt.
Wirtschaftliche Vorteile und das sicherheitspolitische Umfeld des bis zu seinem NATO-Beitritt 2024 neutralen Schwedens waren 1994 die wichtigsten Argumente der Beitrittsbefürworter:innen. Zur Einführung der Gemeinschaftswährung Euro wiederum hat sich Schweden trotz grundsätzlicher Verpflichtung noch nicht entschlossen. Sowohl im Parlament – Riksdagen – als auch bei den 10,5 Millionen Einwohner:innen des Landes ist das Vertrauen in die schwedische Krone noch recht groß, ungeachtet der Tatsache, dass wie in ganz Skandinavien die meisten Zahlungen bargeldlos durchgeführt werden. In einem im Herbst 2024 im Riksdag eingelangten Antrag der Zentrumspartei auf neuerliche Evaluierung einer Euro-Einführung in Schweden wird immerhin darauf hingewiesen, dass kleine Währungen wie die Krone höheren Spekulationsrisiken ausgesetzt sind. Ein verpflichtendes Datum für einen Umstieg von Krone auf Euro gibt es nicht. Die Europäische Kommission beobachtet bei Schweden aber wie bei den anderen Nicht-Euro-Ländern, die im Gegensatz zu Dänemark keine Euro-Opt-Out-Regelung haben, die Entwicklung der Konvergenzkriterien für eine mögliche Euro-Einführung.
Finnland: Sicherheit als Hauptfaktor
Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erhält Finnland maßgebliche finanzielle und operative EU-Unterstützung bei der Sicherung seiner 1.340 km langen Grenze zu Russland. So hilft die EU-Grenzschutzbehörde FRONTEX den finnischen Behörden bei der Überwachung der Grenze, an der auch der Schengenraum endet. Bei einem Besuch in Wien 2024 beschrieb die finnische Außenministerin Elina Valtonen die gemeinsame Sicherheitspolitik als essentiell zur Gewährleistung der territorialen Integrität aller EU-Mitgliedstaaten. Sicherheitspolitische Überlegungen waren auch der Hauptgrund, der Finnland in die Europäische Gemeinschaft (EG) führte. Ähnlich wie in Schweden war der Zuspruch bei der Bevölkerung zunächst gedämpfter als in der Politik, wuchs in den vergangenen dreißig Jahren jedoch kräftig an.
Gaben 56,9 % der Finninnen und Finnen 1994 in einer konsultativen – also nicht verfassungsrechtlich gebotenen – Volksbefragung ihr Ja zu einem Beitritt, äußerten im Vorjahr 83 % der finnischen Bevölkerung ihre Zustimmung zur Europäischen Union (EU). Das finnische Parlament, Eduskunta, votierte hingegen bereits 1994 mit großer Mehrheit von 152 zu 45 Stimmen (von 200) für die Mitgliedschaft. Ihre Verbundenheit mit der EU drückt die finnischen Legislative in ihrer täglichen Arbeit aus. Auf seiner Website erklärt das finnische Parlament, sämtliche Fachausschüsse beraten themenspezifisch über EU-Dokumente. Das sei eine Besonderheit des finnischen Parlamentarismus.
Die wirtschaftliche Annäherung an den Westen war für Finnland die Treibkraft, dem 1993 gestarteten Binnenmarkt der EG-Länder mit freiem Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr beizutreten. Das Land mit 5,6 Mio. Einwohner:innen auf einer Fläche von 338 363 km2 war zwar bereits seit 1955 Mitglied des Nordischen Rats, der innerhalb der nordischen Staaten (Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island) freien Waren- und Arbeitskräfteverkehr ermöglicht. Doch war man sich bewusst, dass für den Export – neben Holz setzt Finnland vermehrt auf Innovationstechnologien – eine Ausweitung des Absatzmarktes sinnvoll ist. Anders als Dänemark und Schweden führte Finnland 2002 den Euro als Zahlungsmittel ein.
Norwegen: Umweg in den Binnenmarkt
In Norwegen stimmte 1994 eine Mehrheit von 52,2 % gegen eine EG-Mitgliedschaft. Dennoch gilt das skandinavische Land mit 5,6 Millionen Einwohner:innen als jenes, das ohne Mitgliedschaft -und somit ohne direkte Mitwirkungsrechte bei den Beratungen in Rat und Europäischem Parlament – am meisten in die Union integriert ist. Deutlich wird das etwa beim Schengen-Abkommen: bei dieser justiziellen Zusammenarbeit zur Reisefreiheit in Europa ist Norwegen vollwertig eingebunden. Gleiches gilt für das Dublin-Abkommen zur Bearbeitung von Asylanträgen.
In der öffentlichen politischen Debatte Norwegens wird gerne das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) als Stützpfeiler der Beziehungen zum größten Binnenmarkt der Welt mit 450 Millionen Menschen genannt. Laut Angaben der norwegischen Regierung umfasst die Zusammenarbeit mit der EU wirtschaftlich und kulturell zentrale Bereiche. Festgelegt im EWR-Abkommen sind der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr mit Sonderregelungen für den Agrarbereich. Darüber hinaus hat sich Norwegen beim Klimaschutz auf eine enge Kooperation mit der EU verständigt und seine angestrebte Emissionsreduktion den EU-Klimazielen angepasst. Der Energiesektor stellt dabei einen entscheidenden Bereich dar. Allerdings führte Ende Jänner 2025 die EU-Auflage, ein Richtlinienpaket zur Energiewende umzusetzen, zu einem Bruch der norwegischen Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und der in der Bauernschaft verwurzelten Zentrumspartei. Letztere lehnt eine noch engere Anbindung Norwegens an den Energiebinnenmarkt ab, um letztlich die Strompreise im wasserkraftreichen Norwegen niedrig zu halten.
Wegen Bedenken um die Steuerungshoheit, vor allem in den Bereichen Fischerei und Landwirtschaft, hatte die Mehrheit in Norwegen auch bei zwei Volksabstimmungen – 1972 und eben 1994 – gegen eine EU-Mitgliedschaft gestimmt. Trotz der handelspolitischen Spannungen mit den USA trat Anfang 2025 nur bedingt ein Stimmungswandel zu einem EU-Beitritt zutage: demnach hätten diesen März die Nein-Stimmen 45 % erreicht, die Ja-Stimmen aber nur 35 % – der Rest war unentschieden. Allerdings wurden diese Umfragen durchgeführt, bevor die USA hohe Zölle auf ausländische Waren einführten und damit dem Welthandel zusetzten. Bis das norwegische Parlament, Stortinget, im Herbst 2025 neu gewählt wird, führt nun die sozialdemokratische Arbeiderparti eine Minderheitsregierung.
Für Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre ist dabei klar: Norwegen brauche in unsicheren Zeiten mehr und nicht weniger Anbindung an die EU. Eine Abkehr von der engen Kooperation mit dem Binnenmarkt wäre unverantwortlich für Gesellschaft und Wirtschaft, die in den letzten dreißig Jahren enorm von der Zusammenarbeit profitiert hätten. 80 % der Exporte Norwegens gehen in die EU. Beim Verband für Fischereiprodukte hält man daher wenig davon, das gute Verhältnis zu Brüssel aufs Spiel zu setzen. Ein erschwerter Zugang zum Binnenmarkt würde vor allem der kleinstrukturierten norwegischen Wirtschaft im ländlichen Raum enormen Schaden zufügen, so der Verband in einem Zeitungskommentar. (Schluss) rei
HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt
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