„dokFilm“-Zeitreisen ins Wien der 1960er, -70er und -80er am 13. April
Zwei besondere Zeitreisen in Wiens jüngere Vergangenheit unternimmt der ORF-„dokFilm“ am Sonntag, dem 13. April 2025, ab 23.05 Uhr in ORF 2 und auf ORF ON. Zunächst beleuchtet „Wiener Zeitgeist – Aufbruch in die 80er“ das Jahrzehnt, in dem sich Wien als Weltstadt neu erfand, danach geht es noch ein Stück zurück in ein „Wildes Wien – die 60er- und 70er-Jahre“ (23.50 Uhr). Beide Filme gestaltete die Wiener Filmemacherin Alexandra Venier.
„Wiener Zeitgeist – Aufbruch in die 80er“ (23.05 Uhr)
Wien, Mitte der 1970er Jahre: Eine Stadt in depressiven Grautönen. Die einstmals fünftgrößte Metropole der Welt, geschrumpft auf 1,5 Millionen Einwohner:innen, scheint sich auf direktem Weg in die Bedeutungslosigkeit zu verabschieden. Und dann, am Ende des Jahrzehnts, kommt etwas auf, das mit einer pulsierenden, kunstaffinen Szene und dem Begriff „Zeitgeist“ zu tun hat. Mit einem Mal gehen in bunten Neonfarben die Lichter in einer Unzahl gestylter In-Lokale auf. Wien wird modisch, eine so genannte Szene entsteht, hedonistisch und konsumorientiert. Mode bekommt eine ebenso politische wie internationale Note, mit Falco oder Hansi Lang boomt eine neue Musikszene, Kunst und Werbung gehen eine Symbiose ein.
Divine, die prallste aller Drag Queens, tritt auf und auch die noch völlig unbekannte Sade Adu – später wollen alle bei ihrem Konzert im Keller des neuen Szenetempels U4 dabei gewesen sein. Dort steht Conny de Beauclair vor der Tür, hinter dem Tresen führt Marianne Kohn (heute leitet sie die Wiener „Loos Bar“) ein strenges Regiment. Musikalisch geht in jenen Jahren alles schnell: Minisex fahren mit dem Auto, Blümchen Blau adaptierten einen Klassiker von Hans Albers, Falco spielt Bass und probiert so lange neue Frisuren aus, bis die Brillantin’ brutal glänzt und ihm ganz Wien zu Füßen liegt.
Was war Anfang der 1980er geschehen, dass sich die Stadt aus ihrer eigenen Provinzialität hievte und in der City die lodenbemäntelten Regimenter von jungen Partypeople verdrängt wurden? War es so etwas Profanes wie der U-Bahn-Bau, der wie ein Turbo wirkte? Bestimmt hat auch die vor mehr als 40 Jahren gegründete Zeitschrift „Wiener“ – das neue Zentralorgan des Zeitgeists – am neuen Selbstwertgefühl mitgewirkt. Abgekupfert von Andy Warhols Magazin „Interview“ wurden die ersten Nummern im X-Large-Format verlegt. Nach vier Ausgaben ging das Projekt pleite und wurde alsbald als „Zeitschrift für Zeitgeist“ neu gegründet.
Regisseurin Alexandra Venier hat für ihren Film tief in den ORF-Archiven gegraben und eine prominente Riege zeitgeistiger Zeitgenossen interviewt. Zu Wort kommen unter anderen Starfotografin Elfie Semotan, Architekt Wolf D. Prix, die Gastronomen Marianne Kohn, Hanno Pöschl und Ossi Schellmann, die Musiker Rudi Nemeczek, Alexander Goebel und Götz Schrage, sowie der ehemalige „Wiener“-Chefredakteur Markus Peichl. Entstanden ist ein filmisches Brevier durch die Mode-, Party- und Musikszene jener Jahre, als sich Wien als Metropole neu erfand.
„Wildes Wien – die 60er- und 70er-Jahre“ (23.50 Uhr)
Trotz aller aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen zählt Wien heute zu den lebenswertesten und saubersten Metropolen der Welt. Doch die Stadt hat auch schon räudigere und ungebändigtere Zeiten erlebt, als sie noch das Wilde Wien der 1960er und 1970er Jahr war. Im Film erzählt Alexandra Venier u. a. vom Aufbegehren der Künstler:innen gegen das Nazi-Erbe der Stadt, das in der berühmten „Uni-Ferkelei“ mündete; von veritablen Bandenkriegen im Unterweltmilieu, von Rotlicht-Rivalitäten und dem berühmten Herren-Club 45 oder ähnlichen Etablissements, in denen Politiker – damals ausschließlich männliche – von der Presse völlig unbehelligt nicht nur reden konnten. Zu Wort kommen André Heller, Teddy Podgorski, Peter Weibel, die Journalistinnen Anneliese Rohrer und Margit Haas sowie Nachtgastronom Anton Österreicher und der einstige Rotlicht-Zampano Freddy Rabak.
„Wien hat etwas Unheimliches an sich“, konstatiert Teddy Podgorski in der Doku. Heute aber wohl längst nicht mehr so sehr wie in jenen Jahren, in denen es in der Stadt „wie in einer alten Speis’ roch“ – wie André Heller die Zeit olfaktorisch einzuordnen weiß. Schmutziggrau war die dominierende Farbgebung der auslaufenden 1950er und frühen 1960er Jahre, kontrastiert durch das Rotlicht, in das die Nächte getaucht waren. Und die konnten es durchaus in sich haben – was daran liegt, dass der Wiener ein durchaus empfindsames Gemüt hat. Ein falsches Wort konnte im entsprechenden Milieu schon genügen, mit einem Bauchstich gemaßregelt zu werden. Anton Österreicher, Betreiber diverser Lokalitäten, weiß das am besten, handelte er sich doch einst gar einen Kopfschuss ein. Zu Silvester 1968 kulminierte ein Bandenkrieg rivalisierender Unterweltbosse, der zahlreiche Tote forderte.
1968 war auch die Zeit der Studentenrevolte, die sich Teddy Podgorski ganz besonders an sein Banner heften kann. Die im Vorjahr verstorbene Reporterlegende musste seinerzeit studentisches Aufbegehren und teures Filmmaterial in Einklang bringen. So suchte er sich im Audimax seine Protagonistinnen und Protagonisten, verköstigte sie vorab mit Schnitzeln und Bier, stattete sie mit Tomaten und Eiern aus und gab dann den Marschbefehl für die Kamera. Bis er Stopp rief, um die Filmrolle zu wechseln.
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