30 Jahre Roma-Attentat von Oberwart: Parlament lud zu Veranstaltung
Das Roma-Attentat von Oberwart jährte sich heuer zum 30. Mal. Im Februar 1995 hat der folgenschwerste Anschlag einer Briefbomben-Serie vier Angehörigen der Roma das Leben genommen. Aus diesem Anlass beging das österreichische Parlament heuer den Internationalen Roma-Tag am 8. April im Zeichen des Gedenkens.
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz leitete im Parlament die Veranstaltung unter dem Titel „Gewalt in Österreich. 30 Jahre Roma-Attentat von Oberwart“ ein. Im heurigen Jahr werde auf Vorschlag des Volksgruppenbeirats dem Attentat in Oberwart im Jahr 1995 gedacht. Es sei der folgenschwerste Anschlag einer menschenverachtenden Briefbombenserie gewesen, bei dem eine ganz besonders perfide Falle gestellt worden sei, so der Nationalratspräsident. Daher solle heute auch beleuchtet werden, was das „Vermächtnis von Oberwart“ sei. Aktuell tief betroffen habe ihn, dass in den vergangenen Monaten Gräber auf Wiener Friedhöfen geschändet worden seien – vor allem jene von Angehörigen der Roma- und Sintigemeinschaft, darunter auch Ruhestätten von Holocaustüberlebenden. Diese Untaten seien mehr als Straftaten oder bloßer Vandalismus. Sie seien gezielte Angriffe auf die Erinnerung, auf die Würde Verstorbener und auf das Selbstverständnis unseres Zusammenlebens, so Rosenkranz. Es sei beschämend, in Österreich 2025 noch immer mit solchem Hass konfrontiert zu sein. Umso entschlossener gelte es, dagegen aufzutreten – als Rechtsstaat, als Gesellschaft und als Mitmenschen.
Die Volksgruppe der Roma sei keine Randgruppe, sondern ein bedeutender Teil unserer Gesellschaft, hielt der Nationalratspräsident fest. Das Parlament sei ein Ort des Dialogs, auch und gerade mit den autochthonen Volksgruppen. Es sei ihm wichtig, dass Vertreterinnen und Vertreter der Roma gehört und ihre Perspektiven in die politische Arbeit und in die Gesetzgebung einfließen würden. Darüber hinaus erachte er die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Roma und Sinti als längst überfälligen Schritt. Er hoffe sehr, dass die laufende Standortsuche bald zu einem guten Ergebnis führe. Als Nationalratspräsident unterstütze er dieses Vorhaben mit voller Überzeugung, so Rosenkranz.
Europa- und Integrationsministerin Claudia Plakolm übermittelte eine Videobotschaft. Der internationale Roma-Tag werde seit 1990 weltweit als Zeichen für Anerkennung, Erinnerung und Zusammenhalt begangen. Eigentlich sollte es ein Festtag sein, an dem die Kultur und Geschichte der Roma – als Teil der österreichischen Kultur und Geschichte – gefeiert werde, so Plakolm. Dieses Jahr werde der Tag aber als Gedenktag begangen. Das Roma-Attentat von Oberwart habe als Anschlag auf die Roma als Volksgruppe und damit auf die Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen, so die Ministerin. Auch 30 Jahre später seien die Wunden noch spürbar. Umso wichtiger sei es, „dass wir erinnern, zuhören und verstehen“. Das Attentat dürfe niemals in Vergessenheit geraten und sei damals wie heute eine Mahnung, hielt Plakolm fest.
1995 sei mit dem Attentat in Oberwart mit einem Mal der alte Hass wieder über die Roma hereingebrochen, so der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath. Es sei dies für die Volksgruppe die schwerste Stunde seit dem Völkermord gewesen – auch deshalb, weil man die Roma selbst verdächtigte und die Opfer diffamierte. Letztlich sei das Begräbnis der Opfer aber zu einem Staatsakt geworden. Seit der Gründung des Volksgruppenbeirats 1995 seien mittlerweile vielfältige Roma-Organisationen und Kultur- und Medienprojekte in der Volksgruppe in ganz Österreich gegründet worden. Seit längerer Zeit gebe es auch die ständige Volksgruppenkonferenz der sechs autochthonen Volksgruppen, um gemeinsame Lösungen mit den Ministerien zu finden. Auch im Parlament werde die Dialogplattform abgehalten. Gärtner-Horvaths Appell richtete sich an die Politik, die wichtige Volksgruppenarbeit weiterhin zu unterstützen.
Keynote: „Historisches Trauma, Terror und Psyche“
Psychotraumatologin Brigitte Lueger-Schuster von der Universität Wien hielt eine Keynote zum Thema „Historisches Trauma, Terror und Psyche“. Roma hätten jahrhundertelange Ausgrenzung und kontinuierliche massive Diskriminierung, Ausbeutung und Rassismus erlebt, so Lueger-Schuster. Im Nationalsozialismus waren Roma von Massenvernichtung bedroht, über 5.000 Personen seien etwa in das katastrophale Getto von Lodz überführt worden. Zudem werde eine hohe Dunkelziffer an nationalsozialistischen Massenmorden an den Roma vermutet. Das mit diesem historischen Trauma zusammenhängende kollektive Trauma sei außerdem vielfach verbunden mit der Wahrnehmung von „institutionellem Betrug“ auf psychologischer Ebene wie etwa systematische Vernachlässigung oder systematische Verleugnung von Rechten auch nach 1945.
Es gebe keine Familie, die nicht von Traumata betroffen war, aber auch viele, die gar nicht darüber gesprochen hätten, so Lueger-Schuster. Diese Entwicklungen und massive Diskriminierungserfahrungen nach 1945 sowie das Roma-Attentat im Jahr 1995 hätten zu einer erhöhten Vulnerabilität für die Entwicklung psychischer bzw. gesundheitlicher Probleme und zu einer Verstärkung der intergenerationalen Weitergabe in dieser Gruppe geführt.
Insgesamt hielt sie fest, dass ein solches Trauma grundsätzlich bestehen bleibe. Es gebe kein Mittel, es zu vergessen. Aber man könne durch fundierte Psychotherapie lernen, damit ein gutes Leben zu führen. Auch Selbsthilfe sei möglich, so die Expertin. Als Schutzfaktoren dazu führte sie etwa Selbstwirksamkeit, aber auch soziale Unterstützung an. Darüber hinaus brauche es die Rahmenbedingungen, sich selbst als tatkräftig und einflussreich zu erleben, etwa durch den Zugang zu Ressourcen und die Herstellung von realer Chancengleichheit etwa in Bildung, Gesundheit und Beruf.
Podiumsdiskussion zum „Vermächtnis Oberwart“
In der anschließenden Podiumsdiskussion stand vor dem Hintergrund des aufflammenden Antiziganismus das „Vermächtnis Oberwart“ im Fokus. In Anwesenheit von Volksgruppenangehörigen ging es auch um die Frage, ob und wie traumatische Ereignisse überwunden werden können und welche Spuren Traumafolgestörungen im Leben hinterlassen.
Als Lernbetreuerin, so Sarah Gärtner-Horvath, versuche sie mit Kindern darüber zu sprechen, was es bedeute, Volksgruppenangehörige zu sein und warum sie mit Hass oder Beschimpfungen konfrontiert würden. Oft würden Stereotype von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Als zukünftige Lehrkraft sei es ihr wichtig, die Geschichte über das Attentat und die örtliche Geschichte insgesamt zu vermitteln. Sobald man beginne, zu vergessen, mache man Türen dafür auf, dass sich die Geschichte wiederhole, so Gärtner-Horvath.
Als „hoffentlich unvorstellbar“ bezeichnete es der Jurist und Terrorismusforscher Paul Schliefsteiner, dass wie 1995 in Oberwart auch in der heutigen Zeit die Opfer als erste verdächtigt würden. Was es aber nach wie vor brauche, seien Ressourcen und Anlaufstellen, die niederschwellig zur Verfügung stünden, noch bevor etwas passiert sei. In der Geschichtsbetrachtung fehle ihm generell die Perspektive der Opfer, mahnte er ein. Für die Zukunft wünsche er sich außerdem, dass die Kinder und Enkelkinder nicht mehr mit Stereotypen zu kämpfen hätten.
Theo Kelz, pensionierter Polizist und Überlebender eines Anschlags 1994 in Klagenfurt, berichtete, dass er aufgrund einer Rohrbombe damals seine beiden Hände verloren hatte. Mit einer einzigartigen Transplantation beider Hände sei ihm später ein Lebenswunsch erfüllt worden. Er wünsche sich, dass solche Taten nie mehr passieren mögen. Er trete Hass oder Rachegefühlen entgegen, denn damit komme man nicht weiter.
Was die Therapie der Traumata betrifft, wäre es Brigitte Lueger-Schuster zufolge dafür auch drei Jahrzehnte danach nicht zu spät. Man könne dazu etwa ein spezielles Ambulatorium für Volksgruppen andenken, regte sie an. Aus ihrer Sicht wäre es wünschenswert, Volksgruppen als vollintegrierten Teil einer Gesellschaft zu sehen, dass niemand mehr an einem Trauma leiden müsse und ausreichend Wissen darüber vorhanden sei, was es in der psychosozialen Versorgung dafür brauche. (Schluss) mbu
HINWEIS: Die Veranstaltung wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar. Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.
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