LBI für Digital Health and Patient Safety trainiert Algorithmus zur Vorhersage von gefährlich niedrigem Blutdruck im OP
Niedriger Blutdruck ist eine Volkskrankheit. Was viele Betroffene nicht wissen: Hypotonie könnte im Rahmen einer operativen Vollnarkose mit einem erhöhten Sterberisiko einhergehen. LBI-Forscher:innen fanden nun eine Möglichkeit, niedrige Blutdruck-Episoden im OP innerhalb der nächsten sieben Minuten vorherzusagen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen weltweit zu den häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten. Laut Bundesministerium für Soziales,Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz leiden rund fünf Prozent aller Österreicher:innen unter niedrigem Blutdruck – also einer Hypotonie. Im Alltag macht sich die Hypotonie bei den Betroffenen vor allem durch Schwindel, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, erhöhten Puls oder in seltenen Fällen Ohnmacht bemerkbar. Ein plötzlicher Blutdruckabfall passiert aber auch häufig während einer Operation, ohne dass es Betroffene mitbekommen – hier spricht man von einer intraoperativen Hypotonie. Forscher:innen des Ludwig Boltzmann Instituts (LBI) für Digital Health and Patient Safety stellen nun gemeinsam mit der Medizinischen Universtät Wien sowie der Technischen Universität Wien im Rahmen der Studie „Development and external validation of temporal fusion transformer models for continuous intraoperative blood pressure forecasting“ einen Algorithmus zur Früherkennung niedrigen Blutdrucks im OP vor. Die Forscher:innen weisen darauf hin, dass es sich bei intraoperativer Hypotonie um ein häufiges Symptom handelt – mit potentiell nicht ungefährlichen Folgen.
Wenn während der Operation der Blutdruck fällt
Ein häufiges Phänomen: Patient:innen wachen aus dem OP auf und klagen über Übelkeit, Erbrechen und Unwohlsein. Ursächlich hierfür ist in einigen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine intraoperative Hypotonie, oft ausgelöst durch die während der Operation routinemäßig eingesetzten Anästhetika. Treten während des operativen Eingriffs weitere Stressfaktoren wie ein Blutverlust auf, können diese das Risiko einer intraoperativen Hypotonie weiter begünstigen. Patient:innen deren Blutdruck im Rahmen einer Operation unter 65 mmHg fällt, können in Folge unter Herz-Kreislaufproblemen, Nierenschäden, Übelkeit oder Verwirrtheitszuständen leiden. Ein bekanntes Problem, auf das Anästhesist:innen im OP unter anderem mit der Gabe von Blutdruckmitteln, der Anpassung der Narkosetiefe oder der Verabreichung von intravenöser Flüssigkeit reagieren.
Um eben jenes Absinken des Blutdrucks bereits im Vorfeld zu verhindern und somit die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen bis hin zu einem erhöhten postoperativen Sterberisiko zu minimieren, ist eine genaue Vorhersage des Hypotonierisikos von großer Bedeutung. Aus diesem Grund trainierte das LBI für Digital Health and Patient Safety gemeinsam mit der MedUni sowie TU Wien einen Algorithmus zur Früherkennung niedrigen Blutdrucks im OP.
„Im Rahmen der Forschung konnte unser Team vom LBI für Digital Health and Patient Safety einen Algorithmus aus der Gruppe des ´verstärkendes Lernens´ für die Vorhersage intraoperativer Hypotonie trainieren und an über 5.000 Patient:innen testen. Er wertet individuelle prä- und intraoperative Patient:innen- und Gesundheitsdaten aus und prognostiziert anhand dessen die Wahrscheinlichkeit eines Blutdruckabfalls in den kommenden sieben Minuten“, erklärt Oliver Kimberger, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Professor für perioperatives Informationsmanagement am LBI.
Die Studie „Development and external validation of temporal fusion transformer models for continuous intraoperative blood pressure forecasting“ wurde zwischen dem 01.01.2017 und dem 30.12.2020 im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien (AKH) duchgeführt und anschließend im prestigeträchtigen Fachjournal „Eclinical Medicine“ im August 2024 publiziert. (EClinicalMedicine. 2024 Aug 30:75:102797). Grundlage der Untersuchung bildeten anästhesiebedürftige chirurgische Eingriffe, ausgenommen kardio-thorakale Operationen. Finanziert wurde das Projekt aus institutionellen Mitteln des Ludwig Boltzmann Intituts für Digital Health and Patient Safety sowie der Medizinischen Universität Wien, Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerzmedizin.
Algorithmus sagt kurzfristig intraoperative Blutdruckverläufe vorher
Bisher wurden unterschiedliche Instrumente wie neuronale Netze und maschinelles Lernen zur Vorhersage niedrigen Blutdrucks herangezogen. Herausforderung war jedoch die Entwicklung eines tatsächlichen Vorhersagetools anhand der verwendeten Datensätze. Diese setzten sich vor allem aus vergangenen Vitalparametern, nicht aber aus aktuellen Medikationsdaten zusammen.
Der vom LBI für Digital Health and Patient Safety, der MedUni Wien sowie der TU Wien trainierte TFT-Algorithmus, verfügt hingegen über die Fähigkeit, mittels Echtzeit-Daten, Prognosen zu zukünftigen Zeithorizonten abzugeben. TFT steht für „Temporal Fusion Transformer“ und zeichnet sich durch eine Innovation aus: Neben vielfältigen Einflussfaktoren wie individuellen Patient:innen- und Gesundheitsdaten, hat der angewandte Algorithmus die Fähigkeit, sich auf relevante Datenpunkte zu konzentrieren und anhand dieser eine Zukunftsprognose zum zeitlichen Auftritt eines Blutdruckabfalls in den folgenden eins, drei, fünf und sieben Minuten zu tätigen.
Insgesamt bezieht der Algorithmus Daten aus 52 Eingangsmerkmalen, die unter anderem aus Werten früherer Routineuntersuchungen, Medikationsdaten und aktuellen Gesundheitsdaten im Rahmen der Operation zusammengetragen werden. Auf Basis dieser Informationen erstellt das Vorhersagetool eine Verlaufsprognose zu 28 Blutdruckwerten der folgenden sieben Minuten. „Dank des großen Datenpools an Informationen kann der Vorhersagefehler gering gehalten werden und bietet auch bei Vitaldaten mit geringer Auflösung – also nur alle paar Minuten – eine valide Prognose“, erklärt Kimberger.
Medikationsdaten: wichtiger Schlüssel der Riskovorhersage
Eine besondere Rolle bei der Bestimmung des Hypotonierisikos kommt den Medikationsdaten der Patient:innen zu. Neben präoperativen Daten wie dem üblichen Medikationsplan werden auch intraoperative Medikationen wie die Gabe intravenöser Anästhetika oder verschiedener Vasopressoren, sprich blutdrucksenkender Medikamente, berücksichtigt. „Im Rahmen unserer Untersuchung zeigte sich, dass die Treffergenauigkeit unserer Vorhersagen stieg, sobald Medikationsdaten der Patient:innen vorhanden waren“, so Oliver Kimberger.
Weiterhin sei die Bekanntgabe der Medikation nicht nur für die Treffergenauigkeit des Algorithmus, sondern auch vor dem Hintergrund der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen von besonderer Bedeutung: „Das gewonnene Wissen ermöglicht uns, frühzeitig prophylaktische Maßnahmen zu ergreifen, um die Wahrscheinlichkeit einer intraoperativen Hypotonie und damit ein möglicherweise erhöhtes Mortalitätsrisiko zu minimieren“, fasst der Experte die Untersuchungsergebnisse zusammen.
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