Parlament: Ausstellung über Schicksale österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss 1938 eröffnet | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Parlament: Ausstellung über Schicksale österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss 1938 eröffnet

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Heute Abend wurde im Parlament die Ausstellung „Aus dem Leben gerissen“ eröffnet. Die von der internationalen Gedenkstätte Yad Vashem konzipierte Schau stellt die Schicksale österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss 1938 dar. Auf die Bedeutung von Bildung zur Reduktion von Antisemitismus und die damit verbundene Verantwortung der Politik wies Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in seinen Eröffnungsworten hin. Ebenso betonte er die Verantwortung und Mittäterschaft Österreichs am Holocaust. Yad-Vashem-Vorsitzender Dani Dayan hob auch die Bedeutung von Bildung und des Gedenkens sowie die Verantwortung Österreichs hervor. Ebenfalls zu Wort kamen der Kurator der Ausstellung sowie ein Nachfahre eines Opfers. Die Ausstellung ist bis 11. November in der Säulenhalle des Parlaments während der Öffnungszeiten zu besichtigen.

Sobotka: Bildung entscheidend zur Reduktion von Antisemitismus

Die Ausstellung sei im „großen Puzzle“ der Aktivitäten des Parlaments zur Bekämpfung von Antisemitismus ein besonderer und wichtiger Baustein, sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Die Ausstellung zeige die Geschichte von Menschen und deren Bedeutung heute. Diese einzelnen Schicksale seien nicht nur Geschichte, sondern ein Auftrag, betonte er. Nur Bildung und Wissen würde antisemitische Einstellungen reduzieren. Die Ausstellung werde daher in die Parlamentsführungen eingebaut. In der Ausstellung würden die Geschehnisse und die Folgen des Jahres 1938 verdeutlicht. Österreich und seine Bürger:innen seien dabei nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen. Sie hätten einen Anteil und eine Verantwortung am Vernichtungswahn und dem industriellen Massenmord von Jüd:innen und anderen Opfergruppen gehabt. Heute sei es wichtig zu zeigen, dass Österreich die richtigen Lehren aus seiner Geschichte gezogen hat, erklärte Sobotka. Man wolle klar die Verantwortung im Gesamten unterstreichen. Es gehe darum, das „Nie wieder“ nicht nur in Ausstellungen zu leben. Es sei die Aufgabe der Politik, dem puren Antisemitismus, der das jüdische Volk aktuell bedrohe, entgegen zu treten. So sei der Ausspruch „From the river to the sea“ in Österreich untragbar und dürfe in dieser Form nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Sobotka erneuerte seine Kritik am ORF, der kürzlich den palästinensischen Botschafter zu einem TV-Interview eingeladen hat. Dieser habe sich ohne eine Entgegnung antisemitisch geäußert sowie eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Es brauche vielmehr eine klare Erklärung dieses Guerillakrieges. Dabei könne Israel nicht als Schuldiger herangezogenwerden.

Dayan: Ausstellungen helfen, Menschen zu gedenken

Ausstellungen würden helfen, Menschen zu gedenken und ihr Erbe hochzuhalten. Damit werde das „Nie Wieder“ zu einer gelebten Realität, erklärte Dani Dayan, Vorstandsvorsitzender der Gedenkstätte Yad Vashem. Die Geschichte von Marta Byk, die über die Donau nach Israel fliehen wollte, dann aber im damaligen Jugoslawien hängen geblieben ist und schließlich 1942 bestialisch ermordet wurde, sei eine von vielen grauenhaften Geschichten, die sich in der Ausstellung wiederfinden. Mit 1938 sei das Leben der Jüdinnen und Juden mit Erniedrigungen und Gewalt ein einziger Horror geworden. Dies sei von deutschen und österreichischen Nazis unter der Mittäterschaft von allzu vielen Wiener:innen verbrochen worden. Aufgrund der Dauer, des Ausmaßes und der mörderischen Gräueltaten im Holocaust hätte man sich eigentlich erwarten können, dass Österreich für seine zentrale Rolle als Mittäter in der Nachkriegszeit sofort Verantwortung übernimmt. Stattdessen sei ein falsches Nachkriegsnarrativ, wonach Österreich das erste Opfer und keine aktive Rolle im Holocaust gehabt habe, ins Leben gesetzt worden. Erst etwa 40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sei dieses neu beurteilt worden und Österreich habe sich seiner unbequemen Vergangenheit als voller Täter des Holocausts gestellt. Österreich sei in Folge Partnerschaften wie mit Yad Vashem eingegangen. Dabei habe man sich der gemeinsamen Holocaust-Forschung, der Bildung, Aufklärung und dem Gedenken verschrieben. Die nunmehrige Ausstellung im Parlament sei ein Zeichen dieser gemeinsamen Anstrengung. Dayan bedankte sich für das Engagement des Nationalratspräsidenten während seiner Amtszeit. Dieser habe einen faktischen Dialog über die Vergangenheit ermöglicht.

In einem Gespräch mit der Moderatorin und Expertin für Antisemitismusprävention Rifka Junger erläuterte der Kurator der Ausstellung Michael Tal ebenfalls deren Hintergründe und Entstehung sowie die damit verbundene Reise zu den Wurzeln seiner eigenen Familie. Die ausgestellten Gegenstände würden ganze Geschichten in sich bergen und so die Schicksale von Menschen auf der Flucht erzählen, erklärte er. Er hoffe, dass die Besucherinnen und Besucher einen Bezug zu den Schicksalen der Menschen herstellen und so verstehen können, was sie erlitten haben.

Nachfahre Brossmann: Es braucht die Möglichkeit, in sichere Länder fliehen zu können und Asyl zu erhalten

Ebenfalls interviewt wurde auch Tobias Brossmann. Er erläuterte die in der Ausstellung dargestellte Lebensgeschichte seines Urgroßvaters, dem Fotografen Richard Finali. Während es dessen Frau gelang, mit den beiden Kindern nach England auszuwandern, blieb Finali in Wien zurück und wurde schließlich deportiert und ermordet. Länder, die seinen Urgroßvater hätten aufnehmen können, haben es nicht getan und er sei deswegen schließlich ums Leben gekommen, erklärte Brossmann auf die Frage nach den Lehren für heute. Es brauche die Möglichkeit für Menschen, in sichere Länder fliehen zu können und Asyl zu erhalten. Ebenso dürften Ungleichwertigkeitserzählungen in der Gesellschaft nicht genährt werden. Zudem wandte sich Brossmann gegen eine Regierungsverantwortung der Freiheitlichen, da diese einen antisemitischen Einzelfall nach dem anderen produzieren und ihren „Anführer“ – so wie Adolf Hitler damals – als „Volkskanzler“ bezeichnen würden.

Es sei für seine Familie schwer gewesen, Momente zu finden, wo explizit nur das Gedenken stattfinden konnte, erläuterte Brossmann weiter. Es gebe weder ein Grab, noch eine öffentliche Anerkennung für seinen Urgroßvater. Das erste Gedenken habe es erst 2010 mit einem Stein des Gedenkens gegeben, der aber von seiner Großmutter initiiert und bezahlt werden musste. Die Ausstellung sei für ihn und seine Familie wichtig, da dabei offen und direkt über die Ermordung seines Urgroßvaters gesprochen und ihm damit seine Würde zurück gegeben werde

Ausstellung zeigt persönliche Gegenstände und Fragmente von Lebensgeschichten

Die Ausstellung „Aus dem Leben gerissen“, die vom Bundeskanzleramt gefördert wurde, erinnert an ein besonders dunkles Kapitel in der österreichischen Geschichte vor 85 Jahren. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland begann eine Epoche, in der das Leben der Jüdinnen und Juden sich über Nacht radikal veränderte. Die Ausstellung erzählt persönliche Geschichten von Wiener Jüdinnen und Juden, die gezwungen waren, aus Österreich zu fliehen, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen, und das Schicksal, das einen Großteil des europäischen Judentums erwartete. Dazu zeigt sie Gegenstände wie Tagebücher, Briefe aber auch Schmuckstücke und Möbel, die in Verbindung mit der Lebensgeschichte ihrer damaligen Eigentümer:innen stehen. Sie illustrieren den drastischen Bruch, den der „Anschluss“ Österreichs für die hier lebenden Jüdinnen und Juden bedeutete. (Schluss) pst/sox

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.


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