Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 30. Dezember 2023. Von CHRISTIAN JENTSCH. "Auf der Suche nach der Hoffnung". | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 30. Dezember 2023. Von CHRISTIAN JENTSCH. „Auf der Suche nach der Hoffnung“.

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Das Jahr 2023 war von blutigen Kriegen – von der Ukraine bis zum Gazastreifen – geprägt. Und weder im Nahen Osten noch im Osten Europas ist Frieden in Sicht. Hoffnung gibt es dennoch, wenn man die Menschen ins Zentrum rückt.

Es war ein großes Versprechen: Die Welt würde eine immer bessere werden – vielleicht mit einigen Umwegen und Ungewissheiten, aber auf lange Sicht gewiss. In Europa schienen Krieg und Armut ohnehin in weiter Ferne. Aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges erwuchs trotz aller Unkenrufe ein europäisches Projekt, das den Menschen Frieden, Wohlstand, Wachstum und Stabilität garantierte. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde gar das Ende der Geschichte ausgerufen, der globale Siegeszug der liberalen westlichen Demokratien schien unaufhaltsam. Der blutige Kampf der Ideologien schien ausgefochten und überstanden.
Doch es kam anders, ganz anders. Das zu Ende gehende Jahr war geprägt von blutigen Kriegen, für Diplomatie blieb wenig Platz. Und was besonders Angst macht: Gefangen in einer Spirale aus Hass und Vergeltung bahnte sich die Entmenschlichung ihren Weg, Humanismus und religiöse Grundsätze wurden zu Grabe getragen.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen bestialisch getötet und 240 als Geiseln entführt wurden, tobt im abgeriegelten Gazastreifen ein Krieg, bei dem die Grundsätze der Menschenrechte auf beiden Seiten keine Beachtung mehr finden. Und es gibt kaum Hoffnung auf ein baldiges Ende des Gemetzels. Was bleibt, ist verbrannte Erde und eine Trümmerlandschaft, in der Elend und Hoffnungslosigkeit neuen Terror gebären.
Und nicht nur vor den Toren Europas toben blutige Konflikte. Der russische Überfall auf die Ukraine hat den Krieg zurück nach Europa geholt, eine gigantische Rüstungsspirale in Gang gesetzt und alte Gewohnheiten zertrümmert. Und vor allem: Der sicher geglaubte Frieden ist in Gefahr. Auch in der Ukraine ist keine Entspannung in Sicht. Erst gestern wieder wurde das ganze Land mit russischen Luftschlägen überzogen. An der Front in der Ostukraine liefern sich beide Seiten einen Zermürbungskrieg. Hunderttausende Soldaten wurden bereits getötet oder verwundet. An Verhandlungen will derzeit niemand denken. Ein Frieden ist nicht in Sicht.
Und jenseits der blutigen Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen fanden die Vertreibung der Armenier aus Berg-Karabach oder die Lage der Kurden kaum Beachtung. Angesichts all der schlechten Nachrichten droht sich die Zukunft zu verdunkeln. Dass im Jahr 2023 die internationale Politik von Kriegen geprägt war, ist auch ein politisches Versagen. Doch es gibt Hoffnung. Sie liegt vielleicht nicht im Gro­ßen, aber in vielen, vielen Handlungen von Menschen, die sich nicht aufwiegeln und instrumentalisieren lassen – die sich ihr Menschsein nicht nehmen lassen.

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