Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 31. März 2023. Von Alois Vahrner: „Wofür will Österreich stehen?“.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach gestern via Liveschaltung im österreichischen Nationalrat, dem vorvorletzten der 27 Parlamente in der EU. Abseits des Streits mit der FPÖ muss Österreich seine Zukunftsrolle definieren.
Außer in Österreich hatte Selenskyj bislang nur in Ungarn und Bulgarien noch keine virtuelle Auftritts-Möglichkeit bekommen. Die FPÖ (sie hat ja seit 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“) verließ gestern trotzdem demonstrativ den Saal, weil der Auftritt der österreichischen Neutralität widerspreche, weil die Ukraine ja „Kriegspartei“ sei. Also das Land, das vor einem Jahr von Russland angegriffen wurde und seither in unermesslichem menschlichem Leid dem Erdboden gleichgemacht wird.
Abseits des auch hier fragwürdigen FPÖ-Kurses (dieser hielt die ÖVP in Niederösterreich nicht von einer Koalition mit den Blauen ab) muss sich Österreich fragen, welchen Zukunfts-Kurs es denn eigentlich fahren will. „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ – „Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate.“ Dieser berühmte Spruch wird immer wieder zitiert, wenn der Aufstieg der Habsburger durch erfolgreiche Heiratspolitik beschrieben wird. Nach dem 2. Weltkrieg, als Österreich anders als Deutschland nicht zweigeteilt wurde, verpflichtete man sich zur „immerwährenden Neutralität“. Und versuchte sich als neutrales Land zwischen den Blöcken gar nicht so unerfolgreich als Brückenbauer zwischen Ost und West oder in der Ära von Bruno Kreisky auch in Nahost.
Die Welt hat sich seither massiv verändert, Österreich ist mit allen Rechten und auch Pflichten seit 1995 EU-Mitglied. Der Eiserne Vorhang ist weg, es gibt aber jede Menge Konfliktherde, demokratische Freiheitsrechte sind überall unter Druck. Und es gibt eine sich aufbauende neue Blockbildung zwischen dem demokratischen Westen auf der einen sowie China/Russland auf der anderen Seite. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine herrscht wieder Krieg in Europa.
Welche Rolle spielt da noch die Neutralität, die von je nach Umfrage 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung für richtig gehalten wird? Geht es, sich als EU-Mitglied aus Konflikten herauszuhalten und ist die Neutralität noch ein Schutz? Finnland und Schweden haben sich wegen der russischen Aggression für einen NATO-Beitritt entschieden, selbst die Schweiz (sie gibt doppelt so viel fürs Militär aus wie Österreich mit seinem lange kaputtgesparten Heer) will näher an die NATO heranrücken. Und du, felix Austria, eine Insel der Seligen, wie Papst Paul VI. einst gemeint hat? Die Rolle als Brückenbauer sehen Experten als längst überschätzt, andere kritisieren Österreich als Rosinenpicker. Mozartkugeln, Lipizzaner, Operetten und eine Neutralität, in die kaum investiert wird? Österreich hat, zumal wir ja etwa auch bei der Entwicklungshilfe Luft nach oben haben, ein Glaubwürdigkeitsproblem.
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