Veröffentlichung privater Chats von Susanne Thier unzulässig | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Veröffentlichung privater Chats von Susanne Thier unzulässig

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Nach Ansicht des Senats 2 verstößt der Artikel „Kurz-Freundin sauer […]“, erschienen am 29.10.2022 auf „heute.at“, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Artikel wird berichtet, dass es erste Ermittlungsergebnisse in der Chat-Causa rund um Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid und Alt-Kanzler Sebastian Kurz gebe. Diese betreffen den Vorwurf Schmids, wonach Kurz über ihn ungerechtfertigt eine Gehaltserhöhung und Bonuszahlungen als Mitarbeiterin im Finanzministerium für seine Lebensgefährtin erwirkt haben solle. „Heute“ liege der entsprechende Amtsvermerk vor, wonach Kurz' Freundin „im Zeitraum 2017 bis 2021 Zusatzbonuszahlungen im Ausmaß von rund 25.600 Euro“ erhalten habe. Die Zahlungen seien aber nach gleichbleibendem Schema an alle Abteilungsbediensteten derselben Planstellenstufe erfolgt. Niedriger eingestufte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten zwar proportional weniger Bonusgelder erhalten, doch sei eine direkte Bevorzugung nicht ersichtlich.

Weitere Unterlagen würden allerdings Schmids Erinnerungen stützen, wonach für Kurz-Freundin Susanne und eine ihrer Kolleginnen eine Hochstufung in eine besser bezahlte Verwendungsgruppe urgiert worden sei, um die wachsenden Herausforderungen abzugelten. Im zuständigen Ministerium für öffentlichen Dienst sei daraufhin festgehalten worden, dass der Antrag vorgezogen werde, weil informell kommuniziert worden wäre, dass es sich um die Lebensgefährtin des Bundeskanzlers handle. Im Amtsvermerk der Staatsanwaltschaft würden sich auch höchstpersönliche Chat-Verläufe der Kurz-Freundin und ihrer Arbeitskollegin finden, die sich über ihren Chef echauffiert hätten und in der die Betroffene mit ihrer neuen Rolle hadere, in die sie offenbar durch ihre Beziehung zum Regierungschef gesteckt worden sei. Anschließend wird im Artikel aus mehreren Chatnachrichten zwischen Susanne Thier und ihrer Arbeitskollegin zitiert, darin tauschen sich die Betroffenen u.a. auch über zwei Arbeitskollegen und ihren Vorgesetzten aus.

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die im Beitrag zitierten Chats von Susanne Thier. Seiner Meinung nach handle es sich dabei um höchstpersönliche, völlig unerhebliche Nachrichten.

Die Medieninhaberin nahm am Verfahren teil. Der Chefredakteur des Mediums führte aus, dass mit Blick auf die Beschuldigtenvernahmen von Thomas Schmid ein öffentliches Interesse an der Causa bestanden habe. Hinzu komme, dass Frau Thier im BMF aus Steuermitteln bezahlt werde, das BMF habe sich selbst zu Wort gemeldet und Kurz den Gehaltszettel seiner Lebensgefährtin gegenüber Medien offengelegt habe. Der Faktencheck all dieser Behauptungen sei der Redaktion dann einige Tage später anhand eines Aktenvermerks der WKStA gelungen, nämlich dass eine direkte Bevorzugung Thiers nicht ersichtlich sei. Um diesen Aspekt näher zu erläutern, habe sich das Medium einiger weniger, sorgfältig ausgewählter Chatnachrichten Thiers bedient; diese würden zeigen, dass sie im BMF keine Sonderbehandlung erhalten habe, sondern vielmehr darunter gelitten hätte, so der Chefredakteur.

Der Senat hält zunächst fest, dass der Artikel ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema betrifft, nämlich mutmaßliche Interventionen im Finanzministerium zugunsten der Lebensgefährtin des damaligen Bundeskanzlers. Im Zentrum steht der von Thomas Schmid erhobene Vorwurf, dass er eine Gehaltserhöhung bzw. Bonuszahlungen für Susanne Thier erwirkt habe. Die Senate des Presserats haben bereits mehrmals festgehalten, dass (begründete) Verdachtsfälle von Amtsmissbrauch oder politischer Korruption von öffentlichem Interesse sind; die Presse- und Meinungsfreiheit ist dabei generell weit auszulegen.

Weiters stimmt der Senat mit dem Chefredakteur darin überein, dass Susanne Thier weniger Persönlichkeitsschutz als eine reine Privatperson genießt: Obwohl ihre Position nicht vergleichbar mit der ihres Lebensgefährten ist, war auch sie während der politischen Tätigkeit von Sebastian Kurz in den Medien regelmäßig präsent; sie trat bei Wahlkampf- und Parteiveranstaltungen an seiner Seite auf, außerdem ließ sich das Paar regelmäßig bei Society-Veranstaltungen gemeinsam ablichten. In diesem Sinne nahm Frau Thier am öffentlichen Leben teil und ist somit nicht als reine Privatperson anzusehen.

Dennoch ist auch Susanne Thier ein Privatbereich zuzugestehen, in dem sie sich unbeobachtet fühlen kann und den die Medien respektieren müssen (siehe Punkt 10.1 des Ehrenkodex). Der Senat vertritt die Auffassung, dass der erste Teil des Artikels über das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aus medienethischer Sicht nicht zu beanstanden ist. Im zweiten Teil wird jedoch aus Chatnachrichten zitiert, die dem privaten Bereich von Susanne Thier zuzurechnen sind: Zum einen veröffentlicht „heute.at“ Chats über Gesprächsinhalte von Sebastian Kurz und Susanne Thier zu ihrem Verhalten im beruflichen Umfeld. Zum anderen macht das Medium auch vertrauliche Bemerkungen Thiers über ihre Mitarbeiter und ihren Vorgesetzten publik. Bei diesen Chatnachrichten überwiegt der private Charakter; für die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind sie nicht relevant. Im Übrigen hält „heute.at“ im Artikel selbst fest, dass es sich bei diesen Chats um „höchstpersönliche Chat-Verläufe“ handle.

Nach Ansicht des Senats wäre es zumindest erforderlich gewesen, die vorliegenden Chats auf eine sachliche Art und Weise zusammenzufassen. Die wortgetreue Wiedergabe der Chatnachrichten über die Arbeitskollegen und den Vorgesetzten kann jedenfalls das berufliche Fortkommen von Susanne Thier negativ beeinträchtigen. Im Ergebnis erkennt der Senat an der detaillierten Veröffentlichung der Chatnachrichten kein legitimes Informationsinteresse, das betroffene Medium wurde seiner Filterfunktion nicht gerecht, sodass der Senat einen Verstoß gegen die Punkte 5 und 6 des Ehrenkodex feststellt (Persönlichkeitsschutz; Intimsphäre).

Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. Überdies merkt der Senat kritisch an, dass der Beitrag online nach wie vor unverändert abrufbar ist; er empfiehlt eine Anpassung im Sinne der vorliegenden Entscheidung.  

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS 

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der drei Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „heute.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht. 

Die Medieninhaberin der Tageszeitung „Heute“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

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