Tiroler Tageszeitung, Leitartikel von 23. September 2022. Von Peter Nindler. „Tirol gehört keiner Partei oder Koalition“
Im Wahlkampffinale übertrumpfen sich ÖVP, SPÖ, FPÖ und NEOS mit Vorwürfen über Geheimverhandlungen bereits vor der Landtagswahl sowie mit Duellen um Tirol. Darüber frohlockt einzig der Klingelbeutel der Politikverdrossenheit.
Mit seiner Absage an die FPÖ hat ÖVP-Chef Toni Mattle ein Mikado von Schreckgespenstern auslöst. Ohne Not, weil für die Tiroler ÖVP eine Regierungszusammenarbeit mit den Blauen ohnehin nie eine ernsthafte Option gewesen wäre. Zu sehr steht Mattle gesellschaftspolitisch in der Tradition des scheidenden Landeshauptmanns Günther Platter (VP), der den Freiheitlichen wegen ihrer (leider) ständigen Ausritte immer reserviert bis ablehnend gegenübergestanden ist. Sodann hat die ÖVP versucht, Mattles Regiefehler, sich trotzdem nicht alle Optionen nach der Landtagswahl offenzuhalten, offensiv zu kaschieren: Auch keine andere Partei sollte sich mehr in Richtung FPÖ bewegen dürfen. Außerdem werden Offenbarungseide verlangt, um sich ja nicht blauverdächtig zu machen.
Damit hat die ÖVP dem freiheitlichen Parteichef Markus Abwerzger allerdings eine Bedeutung zugespielt, die er sich selbst nicht einmal im Traum erhofft hätte – und die Abwerzger trotz zu erwartender Zugewinne am Sonntag gar nicht haben wird. Oder doch? Denn jetzt beschuldigen sich ÖVP und SPÖ gegenseitig, bereits „Geheimverhandlungen“ mit der FPÖ zu führen. Die schnappatmungsgetriebenen NEOS hecheln sich an ihre Fersen und heucheln wie zappelnde Schüler in bekannter „Ich will auch etwas sagen“-Manier gespielte Empörung. Denn einige „böse“ ÖVPler wie Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser würden hinter Mattles Rücken schon mit SPÖ-Chef Georg Dornauer packeln. Darf etwa Schwarz-Rot plötzlich auch nicht sein? Die Grünen warnen ebenfalls davor.
Dem Grunde nach und angesichts von Teuerung, Klimakrise, Wohnungs- oder Pflegenotstand ist dieses Politgeplänkel an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Einzig der Klingelbeutel der Politikverdrossenheit frohlockt im Stundentakt. In dieses schräge Bild passt gleichfalls das von der FPÖ ausgerufene Duell um Tirol. Nein, Herr Abwerzger, um Tirol duelliert man sich nicht. Das Land gehört weder dem Wahlsieger noch einer Partei, Koalition und schon gar nicht dem Landeshauptmann, wie immer er künftig heißen mag. Sondern den Menschen. Die Politik hat einzig und allein den Auftrag, das Land bestmöglich zu gestalten, weiterzuentwickeln, Probleme zu lösen und Zukunftsperspektiven zu schaffen.
Nach der Landtagswahl erwartet sich die Bevölkerung rasch die Bildung einer stabilen Regierung und eine konstruktive Zusammenarbeit im Sinne des Landes. Egal, in welcher Regierungskoalition und ob mit zwei oder mehreren Parteien. Natürlich ist derzeit vieles dem Wahlkampf und der Parteitaktik geschuldet. Doch wenn keiner mit keinem will, schafft sich die Politik selbst ab. Und dafür werden noch 4,7 Mio. Euro im Wahlkampf ausgegeben.
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