TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 18. Juni 2022 von Wolfgang Sablatnig "Nicht nur die Ukraine braucht Signale" | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 18. Juni 2022 von Wolfgang Sablatnig „Nicht nur die Ukraine braucht Signale“

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Innsbruck (OTS) – Es ist nötig, dass die EU der Ukraine eine europäische Perspektive bietet. Die Union sollte gleichzeitig aber auch die Hinhalte-Taktik am Westbalkan beenden. Vor allem darf sie es nicht bei leeren Versprechen belassen.

Alternativlos ist ein großes Wort. Tatsächlich bleibt der EU aber keine andere Möglichkeit, als der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu geben, wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern vorgeschlagen hat. Der russische Präsident Wladimir Putin könnte jede andere Entscheidung als Signal dafür lesen, dass die EU bei der Unterstützung für das angegriffene Land zu zögern beginnt. Auch der Kandidatenstatus für Moldau lässt sich mit der Abwehr der russischen Aggression erklären.
Die endgültige Entscheidung liegt nun bei den europäischen Staats-und Regierungschefs, die nächste Woche tagen. Sie wissen, dass der Status als Kandidat noch lange nicht den Beitritt bedeutet. Im Moment spricht nicht nur der blutige Konflikt mit Russland gegen diesen Schritt.
Die EU verlangt von ihren neuen Mitgliedern zu Recht, dass sie Wirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie auf europäischen Standard bringen. Die Ukraine als Mitglied wäre vieles: eines der größten und bevölkerungsreichsten Länder der Union, gleichzeitig eines der ärmsten und eines mit einem riesigen Agrarsektor. Jeder einzelne Punkt würde bedeuten, dass die Beihilfen- und Fördertöpfe rasch überlastet wären.
Umso mehr gilt das in der Kombination. Es hat bisher regelmäßig zu Problemen geführt, wenn die EU aus politischen Gründen bei den Kriterien zu großzügig war.
Österreich hat zudem einen weiteren Einwand. Es verknüpft die Zustimmung zum Kandidatenstatus für die Ukraine mit Signalen an den Westbalkan. Nordmazedonien und Albanien warten auf Beitrittsverhandlungen, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo auf den Kandidatenstatus.
Auch in dieser Region wäre ein europäischer Ansporn für die Führung und die Bevölkerung nötig. Die Enttäuschung über die Hinhalte-Taktik war schon bisher groß. Umso mehr gilt das, wenn die Ukraine und Moldau auf die Überholspur wechseln.
Das europäische Zaudern führt nicht nur zu Frustration. Es liefert diese Länder auch Einflüssen aus, die in der europäischen Nachbarschaft nicht willkommen sein können. Russland lauert, China ebenso, in Bosnien investieren muslimische Staaten mit teils zweifelhafter Agenda.
Nötig ist beides, Perspektiven für die Ukraine und für den Westbalkan. Nötig ist aber auch, den Signalen Taten folgen zu lassen. Und es ist nötig, dass die Union sich für weitere Mitlieder erst einmal mit internen Reformen bereit macht. Andernfalls gehen die Signale ins Leere. Dann helfen sie weder den Beitrittswerbern noch der Glaubwürdigkeit der EU.

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