TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Montag, 8. März 2021, von Anita Heubacher: "So sieht er also aus, der Backlash" | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 8. März 2021, von Anita Heubacher: „So sieht er also aus, der Backlash“

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Innsbruck (OTS) – Nicht die Pandemie hat einen Backlash, also einen Rückschlag für die Frauenpolitik gebracht, den gab es bereits davor. Die Krise hat gezeigt, wo wir in der Geschlechtergerechtigkeit stehen: weit vom Ziel entfernt, falls es noch immer eins ist.

Zu Beginn der Pandemie sah es so aus, als ob eine gewisse Care-Ethik in die hohe Staatskunst Einzug hielte. Plötzlich erstarrte die Politik in Ehrfurcht ob der Systemrelevanz der Frauen als Pflegerinnen und Kassiererinnen. Frauen wurden als Heldinnen gefeiert und beklatscht. Das war es dann auch mit der Wertschätzung. Nach einem Jahr Pandemie sieht die Bilanz bitter aus: Die Heldinnen verdienen nicht besser, verschwanden trotz Systemrelevanz aus dem öffentlichen Diskurs und mussten sich in der Pflege auch noch ausrichten lassen, dass sie sich gefälligst zu impfen hätten. Impfpflicht und basta.
Am heutigen Weltfrauentag hat es Tradition, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in die Auslage zu stellen. Dieses Jahr kommen die Folgen der Pandemie dazu. Frauen gelten als Verliererinnen in der Krise. Branchen mit hohem Frauenanteil waren häufiger von Jobabbau und Restriktionen betroffen. Fällt die Schule aus, springen die Frauen als Pädagoginnen ein.
Die Krise hat keinen Rückschlag in der Geschlechtergerechtigkeit gebracht, sondern nur offengelegt, was ist: Wir sind noch weit entfernt von Geschlechtergerechtigkeit und gar nicht so modern. In den allermeisten Haushalten wird noch nach altem Rollenverständnis gelebt. Egalität in den Partnerschaften? Fehlanzeige. Mann in Vollzeit, Frau in Teilzeit. Diversität in den Partnerschaften? Nein, Vater, Mutter, Kind, Pause, Kind. Die Reproduktion ist der ganz großen Mehrheit Lebensziel, Lebenszweck und Lebensinhalt. Andere Lebensmodelle scheinen kein Glücksgarant zu sein und scheiden deshalb für den Mainstream aus.
Der Backlash hat schon vor der Krise begonnen. Während in den 70er-Jahren die Mütter auf ihre Töchter einwirkten, einen standesgemäßen Ehemann im bürgerlichen Umfeld zu finden, machen das viele junge Frauen heute von selbst und üben die Selbstoptimierung via Instagram. Zur Selbstbehübschung kommt noch jene des Haushalts dazu. Biederer konnten unsere Großeltern kaum sein.
Die Krise hat viele Frauen ermüdet und überbelastet. Dabei würde ihre Kraft so sehr gebraucht. Denn als Folge dieser unsäglichen Pandemie geht der Verteilungskampf bei leeren Staatskassen erst so richtig los. Sollte es also das Ziel sein, eine geschlechtergerechte Gesellschaft zu erreichen, wird es Heldinnen brauchen, die um ihre Rechte lauthals kämpfen.

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