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72. Wiener Gemeinderat (4)

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Wien (OTS/RK) – GR Mag. Marcus Schober (SPÖ) sprach von einer „Themenverfehlung“ der ÖVP beim Einbringen des Themas der Gemeinderatsitzung auf Verlangen. Es gehe nicht um Integration, sondern um Sicherheitspolitik. „Wir haben es hier mit einer kleinen Gruppe zu tun, die sehr radikal ist“, sagte Schober. Wien hätte nicht, wie von der ÖVP vorgeworfen, bei der Integration versagt, vielmehr ortete er ein Versagen des ÖVP-geführten Innenministeriums. Österreich hätte es lange Zeit versäumt, die in den 1960er- und 1970er-Jahren angeworbenen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter zu integrieren, „weil man davon ausgegangen ist, die kehren sowieso in ihre Heimatländer zurück.“ Dem sei aber nicht der Fall gewesen. Die SPÖ hätte das Problem erkannt und schon früh darauf aufmerksam gemacht. Schober zitierte das bekannte „Kolarik“-Plakat. Darauf zu sehen: Ein älterer Herr und ein junger Bub. Dieser fragt den Älteren:
„Ich heiße Kolarik, Du heißt Kolarik – warum sagen sie dann zu dir ‚Tschusch‘?“ – übrigens hätte auch Sebastian Kurz als Integrations-Staatssekretär gute Vorschläge für die Integration gebracht, diese aber nicht umgesetzt. Schule sei wichtig für die Integration und eine weltoffene Haltung, betonte Schober. Er brachte einen Antrag ein betreffend Errichtung von mindestens drei AHS-Standorten und fünf berufsbildenden Schulen in Favoriten durch den Bund binnen der nächsten fünf Jahre. „Extremismus ist Gift für die Gesellschaft“, sagte Schober, deshalb müsse die Stadt gemeinsam gegen Extremismus vorgehen, statt mit Vorfällen wie in Favoriten „politisches Kleingeld“ zu machen, wie es die ÖVP im Stadtparlament versuche.

GR Stefan Berger (FPÖ) sagte, Favoriten sei „Spitze“ – allerdings bei negativen Aspekten wie der Kriminalität, Arbeitslosigkeit oder beim „Ausländer-Anteil in der Bevölkerung“ sowie der Häufigkeit des Namens „Mohammed“ bei Neugeborenen. Aus dem ehemaligen Arbeiterbezirk sei ein „Multi-Kulti-Sumpf“ geworden; „Euer Viktor Adler würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste wie es auf dem nach ihm benannten Platz zugeht“, sagte Berger in Richtung SPÖ. Der Bezirk sei keine „Wiener Melange“ sondern ein „Pulverfass“; Favoriten nun wieder wegen Ausschreitungen zwischen nationalistischen Türken und Kurden in den Schlagzeilen. Die rot-grüne Stadtregierung hätte zu lange bei offensichtlicher Integrationsunwilligkeit weggeschaut und sich an türkische Nationalisten angebiedert, die Konflikte aus der Türkei jetzt auf den Favoritner Gassen austragen würden. Als angebliche Belege dafür zeigte Berger vermeintliche Wahlplakate der SPÖ in türkischer Sprache, Fotos von Treffen von Vertreterinnen und Vertreter der Bezirkspartei, SPÖ-Gemeinderätinnen und SPÖ-Gemeinderäte mit Vertretern der Erdogan-Partei AKP oder des Vereins „Atib“, welcher der Regierung in Ankara nahe steht. „Sie haben sich angebiedert, jetzt gerät Ihnen das Ruder aus der Hand“, sagte Berger. Auch die ÖVP pflege Kontakte zu den Vereinen, das sei „scheinheilig“, sagte Berger. Auch das Ernst-Kirchweger-Haus trage zu den Spannungen im Bezirk bei. Er brachte einen Antrag ein, in dem er die Absiedelung des als „EHK“ bekannten Hauses forderte. „Autonome bis Linksextreme“ im Zentrum müssten ausziehen, das Gebäude im Eigentum der Stadt zu Gemeindewohnungen umgebaut werden, forderte Berger.

GR Dr. Wolfgang Aigner (FPÖ) knüpfte an die Rede Bergers an. Er sah in Vereinen wie Atib „die verlängerte Hand der Türkei in Österreich“; Parteien wie die Grünen, SPÖ aber auch die ÖVP, die diese unterstützten, machten sich zu „Erfüllungsgehilfen von türkischen Nationalisten und Islamisten“, sagte Aigner. Viele Austro-Türken würden die Konflikte aus ihrem Herkunftsland in Österreich austragen. Er forderte „Ausbürgerung für Menschen, die nicht loyal zu unserem Staat sind“. Unter Austro-Türken seien illegale Doppelstaatsbürgerschaften an der Tagesordnung, sagte Aigner. Er brachte einen Antrag ein, in dem er einen sofortigen Einbürgerungsstopp für türkischstämmige Menschen forderte, so lange die Türkei ihr Staatsbürgerschaftsregister nicht offen legt. In einem weiteren Antrag forderte er die Ausweisung des türkischen Botschafters in Wien, der in einem Zeitungs-Interview das christliche Weihnachtsfest kritisiert hatte und in ein „Winterfest“ umbenennen wollte. Gegenüber der Türkei brauche es eine „harte diplomatische Sprache“, sagte Aigner. Er wünschte sich den ehemaligen FPÖ-Innenminister Kickl zurück, dessen berittene Polizei hätte „die Straßen und Plätze übernommen, nicht auf Deeskalation bei gewaltbereiten Gruppen“ gesetzt, mutmaßte Aigner. „Staatsgewalt, nicht Streetworker“ sollten gewaltbereiten Jugendlichen zeigen, „nach welchen Regeln gespielt wird, wir müssen uns Plätze und Gassen zurückholen“, sagte Aigner. Der Innenminister hätte bei Corona „die Flex ausgepackt“ und Abstandsregeln überprüfen lassen, nun werde gegenüber türkischen Jugendlichen in Favoriten „deeskaliert“. Gemeinsam mit SPÖ-Stadträtin Sima würde die Polizei jetzt Leinenpflicht und Beißkorb kontrollieren und „Hundebesitzer schikanieren“ statt gegen die „bürgerkriegsartigen Zustände“ in Favoriten vorzugehen. Wien hätte eine lange Tradition bei der Aufnahme von Flüchtlingen – die Integration hätte aber nur bei solchen aus christlichen Gesellschaftskreisen geklappt wie bei Ungarn, Polen oder zuletzt den Staaten des ehemaligen Jugoslawien.

GRin Dipl.Ing. Elisabeth Olischar, BSc (ÖVP) kündigte an, ihre Fraktion werde dem von SPÖ-Schober eingebrachten Antrag nicht zustimmen; Wien würde vom Schul-Paket von Bundesminister Faßmann profitieren „wie kein anderes Bundesland“, außerdem hätte sich die Stadt mit dem Bildungsstadtrat an den Verhandlungen mit dem Ministerium beteiligen können, statt mit einem Antrag zu polemisieren, sagte Olischar. Sie konterte dem Vorwurf von Schober zur „Themenverfehlung“: Die ÖVP würde mit dem Sonder-Gemeinderat Themen aufgreifen, vor denen sich die rot-grüne Stadtregierung verschließe. Die ÖVP werde Vizebürgermeisterin Hebein das Vertrauen entziehen; der Auftritt bei der Kurden-Demo in Favoriten sei mit ihrem Amt nicht zu vereinbaren.

GRin Dr. Jennifer Kickert (Grüne) verwehrte sich gegen die „eindimensionale“ Sicht Aigners, der Doppelstaatsbürgerinnen und Doppelstaatsbürger pauschal als „gefährlich“ und illoyal gegenüber Österreich bezeichnet hätte. Sie, Kickert, sei selbst als Amerikanerin in den Philippinen geboren worden, mit wenigen Jahren nach Österreich gezogen, hätte hier die Schule besucht und studiert, und sitze als Vertreterin der Stadt im Gemeinderat. Als Kind eines US-Bürgers hätte sie die amerikanische Staatsbürgerschaft von Geburt und später um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht und diese verliehen bekommen – damit sei sie „also eine dieser“, laut Aigner, „illoyalen“ Doppelstaatsbürgerinnen. „Glauben Sie, ich unterwandere damit die Stadt oder den Staat?“ „Selbstverständlich“ gebe es in der Stadt Probleme, aber nicht wegen der Doppelstaatsbürgerschaften; die Probleme hätten viel mehr ihre Wurzeln in sozialen und politischen Umständen – „aber nicht weil es Menschen gibt, die aus anderen Ländern kommen.“ Jeder Mensch sollte unabhängig von der Herkunft in Wien anerkannt werden und sich auch beteiligen können, wünschte sich Kickert – „der Rahmen muss sein, sich an die geltenden Gesetze zu halten.“

GR Armin Blind (FPÖ) sagte, in einer bestimmten Community würden „ausschließlich ausländische Fernsehsender und Zeitungen konsumiert, Deutsch wird dort nicht gesprochen“. Dass Vizebürgermeisterin Hebein an einer „PKK-Demonstration teilnimmt, das gehört sich nicht“, fand Blind. Die Freiheitlichen würden „gegen jede Form des Extremismus stehen, egal ob von rechts oder links“. Das „Symbol-Gesetz“ sei vom damaligen Innenminister Kickl erweitert worden, unter anderem auch mit dem Verbot des Symbols der „Grauen Wölfe“. Hier habe Kickl „visionär agiert“, sagte Blind; während SPÖ, NEOS und Grüne im Parlament gegen das Gesetz gestimmt hätten. Die Wiener SPÖ habe „das Problem, an der Maximierung von Wahlstimmen“ interessiert zu sein, deshalb würden manche verdächtige Gruppen unterstützt. „Hören Sie auf in problematischen Wählergruppen zu fischen“, verlangte Blind. „Staatsangehörigkeit ist nicht nur ein Reisepass, sondern das Bekenntnis zu einer Schicksalsgemeinschaft. Bekennen Sie sich zu Österreich, bekennen Sie sich zu unserer Heimat“, sagte Blind in Richtung grüne Fraktion.

Abstimmungen

Der von der FPÖ eingebrachte Misstrauensantrag gegen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) wurde mit 52 von 88 Stimmen abgelehnt.

Der Antrag von SPÖ und Grünen, in den nächsten fünf Jahren zumindest acht zusätzliche höhere Schulen im Bezirk Favoriten zu errichten, wurde mehrheitlich angenommen. Alle anderen Anträge fanden keine Mehrheit.

Die 72. Sitzung des Gemeinderats endete um 15.19 Uhr.

In der Informationsdatenbank des Wiener Landtages und Gemeinderates (INFODAT) unter [www.wien.gv.at/infodat] (http://www.wien.gv.at/infodat) können Reden, Debattenbeiträge, Beschlüsse, Anfragen, Anträge, Gesetzesentwürfe und Landesgesetzblätter nach verschiedenen Kriterien abgerufen werden. Dabei wird Zugriff auf die zugehörigen Videos und Originaldokumente (sofern elektronisch vorhanden) geboten. (Schluss) ato/nic

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